Full text: [Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband])

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saftiger Zwiebelapfel brutzelt. Wenn dann noch gemütliche alte Nach— 
barn und Freunde vom Vater hereinkommen, sich um den vom Balken 
herabhängenden Krüsel setzen und zu erzählen anfangen, möcht's einem 
schon leid tun, daß ein so wunderschöner Winterabend nicht ewig dauert. 
Wie begierig warteten wir Kinder am Abend auf den Krüsel! 
Aber die Mutter, welche auch im Finstern den Faden nicht verlor — 
o sie war eine gar geschickte Spinnerin! — sagte gewöhnlich: „Kinder, 
der Abend ist noch lang, und das Ol ist teuer.“ 
Wenn sie dann endlich den Krüsel angesteckt hatte, zog sie den 
Docht soweit ein, daß nur ein kleines schwelendes Flämmchen von 
rötlichem Glanze blieb. „Stöt in, stöt in!“ mahnten die Eltern oft, 
wenn das Flämmchen einmal höher stieg. O so ein Kind von heut⸗ 
zutage weiß ja gar die Kostbarkeit des Lichtes nicht zu begreifen und 
zu schätzen! 
Zo düster aber auch der Krüsel brannte, sehe ich doch heute nach 
fünf Jahren noch deutlich jeden braun gebratenen Zwiebelapfel 
um Wurstsuppenbecken in der Ofenpfanne liegen, — und übrigens 
brannte auch der Krüsel ganz und gar nicht so düster, solange die 
Menschen ihre Augen durch das Licht der neuen Welt noch nicht ver— 
wöhnt hatten. 
Und wenn ihn die Lebenden in den Winkel stellen, so holen ihn 
die Toten wieder hervor. Noch ist kein Sarg aus der Lindenhütte 
herausgetragen, auf dem man nicht den guten alten Krüsel hätte 
brennen sehen; denn was den reichen Toten die aus goldenen oder 
silbernen Leuchtern aufsteigenden Kerzen sind, das ist den Toten der 
Armut der gute alte Krüsel, und auch auf meinem Sarge wird er 
stehen. Dem lieben Gott wird es freilich einerlei sein, ob man mit dem 
goldenen Leuchter oder mit dem blechernen Krüsel von dannen geht; 
— ihm ist die eine Seele so arm wie die andere, und das himmlische 
Licht, das er ihr anzündet, kennt keinen Unterschied. 
Lieber aber als auf dem Sarge sehe ich den Krüsel, wenn er — 
wie in den Tagen meiner Jugend — in den trauten Kreis der Lebenden 
herabhängt und mit einem spärlichen Licht die alten treuen Gesichter 
erhellt, in deren Furchen sich die Sorge des Tages und der Frohmut 
des Abends so friedsam miteinander gebettet hatten. 
Wie eifrig pflegten wir Kinder nicht die „Sternschnuppen“ zu 
zählen, die der Krüsel gewöhnlich bildete, und wie wachten wir sorg— 
sam darüber, daß die Schnuppen nicht zur Erde, sondern zurück ins 
Olschiff fielen: — bedeutet doch jede derselben einen Besuch, und was 
war ein langer Winterabend ohne Besuch! Da nun der Krüsel jeden 
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