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3. Rechtliche Stellung. Die rechtliche Stellung der Tochterpflanzung zum 
Mutterlande ist sehr verschieden. Entweder nimmt man das neue Gebiet in den 
sogenannten Schutz des Hauptlandes auf; so waren bei den Römern die sämt¬ 
lichen Kolonien ursprünglich unterworfene Bundesgenossen. Oder man unterwirft 
die Besitzung dem Stammlande vollständig, wie wir es mit unseren Kolonien tun, 
wenn man es nicht nach englischem Muster vorzieht, ihnen eine gewisse Selb¬ 
ständigkeit zu lassen und sich selbst nur ein Protektorat beziehungsweise eine 
Schutzherrschaft zu sichern. 
Neuerdings unterscheidet man bei den Kolonien das vollständig unterworfene 
Gebiet im engeren Sinne von einer Interessensphäre, d. i. einem weiteren Gebiete, 
auf das man sich seinen Einfluß und Erwerbsrechte vorbehält. 
4. Deutsche Kolonien. Die deutschen Stämme hat ihr Wandertrieb von 
jeher zur Ko Ionisierung getrieben und die Kultur der östlich und nördlich 
von Deutschland liegenden Länder ist ein Beweis dafür, wie ernstlich sie in 
früheren Jahrhunderten ihre Kultur verbreitet haben. Aber zu einer Kolonisation 
in überseeischen Ländern — unter Kolonie versteht man heute fast ausschließlich 
überseeische Besitzungen — konnten sie nicht kommen, da sie keine Schiffahrt 
betrieben. Zwar hatte die Hansa ihre Handelsplätze jenseits der Ost- und Nord¬ 
see, aber diese gingen in späterer Zeit ebenso verloren wie die venezolanischen 
Besitzungen des Hauses Welser. 
Es war ein großartiges Unternehmen, als im Kurfürstentum Brandenburg 
eine „afrikanische Kompagnie" gegründet wurde ,,zur Verbesserung der Schiffahrt 
und des Commercii, als worin die beste Aufnahme eines Landes besteht". Der 
Major v. Gröben landete mit zwei Kriegsschiffen an der Goldküste von Guinea 
und legte am 1. Januar 1683 auf einem Berge Groß-Friedrichsburg an. 
Bald entwickelte sich ein reger Verkehr zwischen der Kolonie und dem 
Mutterlande. Schließlich übernahm der Große Kurfürst die Verwaltung der 
kolonialen Geschäfte selbst in ähnlicher Weise, wie der belgische König die Ver¬ 
waltung des Kongostaates führte. Er dehnte seine Pläne soweit aus, daß er sogar 
eine Niederlassung auf St. Thomas in Westindien erwarb. Aber gegen die eifer¬ 
süchtigen Anfeindungen der Niederländer konnte man die Besitzungen nicht lange 
halten und sie wurden daher (im Jahre 1720) an die Holländer verkauft. 
Die wirtschaftlich und politisch ungünstigen Verhältnisse des Deutschen 
Reiches brachten es mit sich, daß in der späteren Zeit an die Erwerbung von über¬ 
seeischem Besitz nicht gedacht werden konnte. Aber nach der Erstarkung und 
Einigung Deutschlands in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts regte 
sich das Verlangen in Deutschland, ebenfalls Kolonien zu erwerben, bevor die 
ganze Erde unter den Nationen vollständig aufgeteilt wäre. Ein Versuch, die 
Samoainseln zu erwerben, wo der deutsche Handel wesentlich beteiligt war, 
scheiterte an der Abneigung der Volksvertretung. Bald aber gelang es, dank der 
Tatkraft einzelner Forscher, besonders des Grafen Pfeil und von Karl Peters, 
kleinere Landesteile in deutschen Besitz zu bringen. So wurden in den beiden 
letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts nach und nach Togo, Kamerun, 
Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kaiser Wilhelms-Land, der Bismarck¬ 
archipel, die Salomoninseln und die Marschallgruppe erworben; zuletzt wurden 
Kiautschou von den Chinesen gepachtet, die Karolinen und Marianen von den
	        
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