162. Herbstgefühl.
Wie ferne Tritte hörst du's schallen,
doch weit umher ist nichts zu sehn,
als wie die Blätter träumend fallen
und rauschend mit dem Wind verwehn.
Es dringt hervor wie leise Klagen,
die immer neuem Schmerz entstehn,
wie Wehruf aus entschwundnen Tagen,
wie stetes Kommen und Vergehn.
Du hörst, wie durch der Bäume Gipfel
die Stunden unaufhaltsam gehn,
der Nebel regnet in die Wipfel,
du weinst und kannst es nicht verstehn. Martin Greif
163. Erinnerungen an Goethes Greisenjahre.
Im November 1826 kam ich nach Weimar zurück; schüch-
tern, mit hochklopfendem Herzen erschien ich vor Goethe,
der meine Mutter und mich im Aldobrandinizimmer mit
großer Freundlichkeit empfing. Ich sehe ihn vor mir, nicht
allzu groß und doch gröber erscheinend als andre, mit jener
Jupiterstirn, die ich am vollendetsten in der von Bettina ge-
zeichneten Statue wiederfinde, die unser Museum schmũckt,
wãhrend seine Augen durch Stieler am besten wiedergegeben
sind. Auch mich sehe ich noch im rosa Kleid und grünen
Spenzer, unter einem großen, runden Hut heiß errötend bei
seinem krãftigen Handedruck. Ich brachte keinen Ton über
die Lippen, obgleich er mich, wie er es gern bei jungen
Mãadchen tat, mit Frauenzimmerchen“ und „mein schönes
Kind“ ermutigte. Dann verging ein Jahr, wo ich Goethe nur
bei seinen Abendgesellschaften und zu seiner Geburtstags-
feier san; er hat mir jungem Ding aber immer Ehrerbietung
eingeflõßt, dab ich vor ihm eigentlich nie ich selbst war,
sondern eine Seele, die mit auf der Brust gekreuzten Armen
zu ihm emporsah. Ich hielt den Atem an, wenn ich ihn
sprechen hörte, und glaubte vergehen zu müssen vor Scham,
als er meine Mutter einmal frug: „Was treibt denn eigentlich
die schöõne Kleine?“ Meine Nichtigkeit drückte mich von da
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