an so sehr, daß ich manche Stunde der Nacht zubrachte,
alle Bücher, deren ich habhaft werden konnte, um mich
herum.
Er selbst führte damals schon körperlich das regelmäßige
Greisenleben, was ihn sicher solange geistig frisch erhalten
hat. Der einfache VWagen Karl Augusts hielt etwa zweimal
in der Woche vor Goethes Haus, während die wunderbaren
Freunde oben zusammen waren. Der 28. August 1827 ver-
sammelte zum letztenmal eine Schar Gratulanten in Goethes
Zimmern. Spãter unterblieb auf seinen VWunsch der große,
angreifende Empfang. Damals ũüberbrachte König Ludwig
von Bayern dem Dichter seinen Orden. Es war ein bewegter
Augenblick, doch die Menge der Fürsten auf weltlichem und
geistigem Gebiet beachtete ich wenig neben dem wunder-
baren Glanz der Goethe-Augen.
Die Geselligkeit in Goethes Haus war ein vielfaches
Kommen und Gehen; wenn es ihm lästig wurde, gab er oft
auf Wochen den Befehl, keine Fremden mehr zu melden,
und der Fall ist vorgekommen, daß Amerikaner ihn nicht
anders sehen konnten, als wenn er im langen Rock oder
grauen Mantel zur Spazierfahrt vor der Haustür in den
Fensterwagen stieg. Der beste und liebenswürdigste Blitz-
ableiter war Ottilie, der er namentlich die an ihn empfohlenen
Engländer zuschickte, die den VWeg in die einfachen, aber
geistig durchleuchteten Dachstuben häufig fanden. Hatten
sich die Visitenkarten sehr angehäuft, so vermochte sie ihn
zu einer Abendgesellschaft, wo er sich vorher sehr nach den
Herzensangelegenheiten seiner Gässte erkundigte. Da sah
man denn hoch, groß, etwas steif den Dichterfürsten die
Gaste empfangen. Das Aldobrandinizimmer barg den Kreis
der Mutter und Tanten und, da Goethe bei solchen Zwangs-
gelegenheiten selbst wenig sprach, oft eine große Menge
Langerweile. VWaren diese Gesellschaften durch besondere
Größen der Kunst und Wissenschaft, Humboldt, Rückert,
Zelter, Rauch, Felix Mendelssohn veranlaßt, so hatten sie
einen andern Charakter und auch für Goethe ein anregendes
Interesse.
senny von Gustedt.
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