Full text: Deutsches Lesebuch für die obere Stufe mehrklassiger Schulen (Abtheilung 2, [Schülerband])

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35. Der Ueberfall bei Hochkirch. 
hervorgestiegen, mitten unter den Fahnen der Preußen, im Heiligthume 
ihres Lagers! Viele Hunderte wurden in ihren Zelten erwürgt, noch 
ehe sie die Augen öffnen konnten; andere liefen halbnackt zu ihren Waffen. 
Die wenigsten konnten sich ihrer eigenen Gewehre bemächtigen, ein jeder 
ergriff dasjenige was ihm zuerst in die Hände fiel, und floh damit in 
Reih und Glied. Das Kriegsgeschrei verbreitete sich wie ein Lauffeuer 
durch das ganze preußische Lager. Alles stürzte aus den Zelten, und in 
wenigen Augenblicken stand, trotz der unaussprechlichen Verwirrung, der 
größte Theil der Infanterie und Kavallerie in Schlachtordnung. Der 
anbrechende Tag trug nicht dazu bei, die Verwirrung zu mindern; denn 
ein dicker Nebel lag über den streitenden Heeren. 
Das Dorf Hochkirch stand in Flammen und wurde dennoch von den 
Preußen auf das tapferste vertheidigt. Der Sieg schien von dem Besitze 
desselben abzuhängen, daher Daun immer frische Truppen zum Angriffe 
vorrücken ließ. Nur 600 Preußen waren hier zu besiegen, die, nachdem 
sie kein Pulver mehr hatten, den kühnen Versuch machten, sich durch die 
große Menge Feinde durchzuschlagen. Ein kleinen Theil war so glücklich, 
es zu bewirken; das Loos aller übrigen aber war Tod, Verwundung und 
Gefangenschaft. Nun rückten ganze Regimenter Preußen an und schlugen 
den Feind wieder aus dem Dorfe. Hier war sodann der Hauptplatz des 
blutigsten Kampfes. Der Feldmarschall Keith bekam einen Schuß in die 
Brust, stürzte zu Boden und gab ohne einen Laut seinen Heldengeist auf. 
Auch der Feldmarschall Fürst Moritz von Dessau wurde tödtlich ver⸗ 
wundet. Die Preußen, von vorn und im Rücken angegriffen, mußten 
weichen, und die österreichische Kavallerie hieb nun mit Vortheil in die 
tapfersten Regimenter des preußischen Fußvolkes ein. Der König führte 
in Person frische Truppen gegen den Feind, der abermals zurückgeschlagen 
wurde; die österreichische Reiterei aber vernichtete wieder die Vortheile der 
Preußen. 
Der Nebel verzog sich endlich, und beide Heere übersahen nunmehr 
den mit Leichen bedeckten Wahlplatz und die allenthalben herrschende 
Unorduung. Man formirte nun von beiden Seiten neue Schlachtordnungen. 
Als aber der König vorn und im Rucken feindliche Truͤppen gewahrte, 
zog er seine tapfern Schaaren mitten in diesem Mordgetünnnel zusammen 
und machte nach einem fünfstündigen, verzweifelten Gefechte einen Rückzug, 
dem nichts als ein 2000jähriges Alter fehlt, um von allen Zungen 
gepriesen zu werden. Die österreichische Armee war in zu großer Unord— 
nung, um einen solchen Rückzug zu stören; überdies hatte Daun auch schon 
bei Collin zu erkennen gegeben, sein Grundsatz sei, daß man einem 
fliehenden Feinde goldene Brücken bauen müsse. 
Der König hatte sich in's stärkste Feuer gewagt; ein Pferd wurde 
ihm unter'm Leibe erschossen, und zwei Pagen stürzten todt an seiner 
Seite nieder. Er war in Gefahr gefangen zu werden. Schon hatten 
ihn die Feinde bei dem Dorfe Hochlirch umriugt; aber er entkam durch 
die Tapferkeit der ihn begleitenden Husaren. Allenthalben gegenwärtig,
	        
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