Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen

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276. Laiser Otto I. 
einrieh von Mhlor.) 
L. Zu Quedlinburg im Dome ertönet Glockenklang, 
Der Orgel Stimmen brausen zun erten Chorgesang; 
Es sitzt dor Kaiser drinnen mit seiner Ritter Macht, 
Voll Andacht zu begehen die heil'gs Weibenen, 
2. Hoch ragt er in dem Kreiss mit männlicher Gestalt, 
Das Augse seharf wie Blitze, von goldnem Haar unwallt, 
Man hat ibn nicht zum Scherze den Löwen nur genannh, 
Schon mancher hat empfunden die löwenstarke Hand. 
3. Vohl ist aueh jetzt vom diege er wieder heimgekobrt; 
Poch nicht des Reiches Peinden hat mäehtig er gewelrt: 
Es ist der eigne Bruder, den seins Waffe sehlug, 
Der dreimal der Dmpörung blutrotes Banner trug. 
4. Jetzt schweift er dureh die Lande, gedehtet, flüchtig bin; 
Das will dem edlen Kaiser gar schmerzlich in den Sinn, 
Er hat die seblimme PVehde oft bitter schon beweint 
„O Leinrieh, du mein Bruder, was bist du mir so feind 
5. Zu Quedlinburg im Dome ertönt die Ntternacht, 
Vom Priester wird das Opfer der Messe dargebracht; 
Es beugen sieh die Kniee, es beugt sieh jedes Herz, 
Gobet in beil gor Stunde steigt brunstig Mimmelvarts, 
6. Da öffnen sieh die Pforten, es tritt ein Mann herein, 
Es hüllt die starken Glüeder ein Büssserhemde ein, 
Er schreitet auf den Raiser, er wirft sieh vor ihn hin, 
Die Knie er ihm umfasset mit tiefgebeugtem dinn. 
7. „O Bruder! meine Voblor, sie lassten schwer auf mir, 
Hier lege iebh zu Püssen, Verzeibung flehend, dir; 
WVas ich mit Blut gesundigt, die Gnade macht es rein; 
Vergib, o strenger Kaiser, vorgib, du Bruder mein!“ 
8. Doch sstrenge bliekt der Kaiser den sund'gen Bruder an: 
„Zweimal hab ieh vergeben, niebt fürder mebr fortan! 
Die Acht ist ausgesprochen, das Leben dir geraubt, 
Nach dreier Tage Wochsel da fällt dein sehuldig Hauptl“ 
9. Bleieh werden rings die Lursten, dex Herzog Heinrich bleich, 
Uud Stille herrseht im Kreise, gleichwie im Totenreich, 
Man hätte mögen hören jetzt wobl ein fallend Laub, 
Denn keiner vagt zu webren dem Löwen seinen Raib. 
10. Da hat sich ernst zum Raiser der fromme Abt gewandt, 
Das ew'ge Bueh der Bucher, das hält er in der Hand, 
Er liest mit lautem Munde der beil'gen Worte Nang, 
Dass es in aller Herzen wie Gottes Stimme drang- 
IL. „Dnd Petrus sprach zum Herren: Nicht so? Genügt ich hab', 
Wenn ieb dem sünd'gen Bruder schon siebenmal vergab? 
Doch Jesus ihm antwortet: Nebt siebenmal vergib, 
Nein, siebenzigmal sieben, das ist dem Vater lieb.“
	        
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