Object: [Teil 5 = Schuljahr 7 und 8, [Schülerband]] (Teil 5 = Schuljahr 7 und 8, [Schülerband])

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mittagen, wenn sie mit den beiden Kindern aus dem Hause, das seit 
des Vaters Rückkehr die Eltern für sich bewohnten, nach der nahen 
Großelternhütte wandelte, pflegte sie ihnen das kirchliche Evangelium 
des Tages auszulegen und rührte einst am Ostermontag durch die 
Erzählung von Christus und den beiden nach Emmaus wandernden 
Jüngern die beiden Geschwister zu heißen Tränen. Zu anderer Zeit 
unterhielt sie die Kinder mit Zaubermärchen und Feengeschichten, und 
später, so wie die Fassungsgabe des Knaben es erlaubte, führte sie ihn 
auch in die Hallen der deutschen Dichtkunst ein, soweit ihr selbst diese 
zugänglich waren. 
3. Durch Übersiedelung des Vaters nach Dorf und Kloster 
Lorch wurde der Knabe im sechsten Jahr aus dem lachenden Neckar— 
tal in die ernste Stille eines von Nadelhölzern umstellten Wiesen— 
grundes versetzt. In dieser Einsamkeit, an der das Herz des Dichters 
noch in späteren Jahren hing, gewann er in dem Ortspfarrer Moser 
einen väterlichen Freund. Von ihm erhielt der kleine Fritz den ersten 
Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache. Mit dem 
Sohn dieses würdigen Geistlichen, Kari Moser, schloß der Knabe 
die erste Jugendfreundschaft. AÄuch eine lange in der Schule fort— 
glimmende Neigung zum Studium der Theologie scheint aus den 
Eindrücken zu ammen, die er im Pfarrhause zu Lorch aufgenommen 
hatte. Oft sah man ihn, mit einer schwarzen Schürze statt des 
Kirchenrocks umbunden, ein Käppchen auf dem Kopf, von einem 
Stuhl herab der Mutter und Schwester sehr ernsthaft predigen, und 
seine kindlichen, aus Bibelsprüchen zusammengereihten Vorträge zeigten 
schon eine Spur inneren Zusammenhanges. 
4. Er ging gern in Kirche und Schule, und nur die Natur 
konnte ihn zuwellen zu kleinen Diebstählen an der Schulzeit verführen, 
die dem strengen Vater verborgen bleiben mußten; aber auch auf die 
Spaziergänge begleitete ihn sein gutes Gemüt und seine Menschen— 
liebe, und mit grenzenloser Freigebigkeit verschenkte er an Arme, was 
er besaß. Versunken in Naturgenuß stand einst der achtjährige 
Knabe mit seinem Jugendfreunde im Walde und rief: „O Karl, wie 
schön ist es hier! Alles, alles, was ich habe, könnte ich hingeben, 
nur diese Freude möchte ich nicht missen!“ Er wurde beim Wort 
genommen. Unter der Last eines Reisigbündels schlich ein Kind in 
Lumpen durch den Wald. „Das arme Kind!“ rief der kleine Schiller 
voll Mitleid, kehrte seine Taschen um und gab, was er hatte: 
zehn Kreuzer und eine alte silberne Schaumünze, ein Geburtstags— 
geschenk seines Vaters, von dem er sich recht ungern trennen mochte. 
Ein andermal stellte er sich dem Vater ohne Schnallen an den 
Schuhen dar und gestand, daß er sie einem armen Jungen zum 
Sonntagsschmuck gegeben, weil er sich selbst mit seinen Sonntags— 
schnallen begnügen könne. Und an Kameraden verschenkte er nicht 
nuͤr Dinge, über die er frei verfügen konnte, sondern, wenn ihre 
Amnu sein Mitleid recht rege machte, Bücher, ja Kleidungsstücke 
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