Full text: [Teil 2 = Schuljahr 6 - 8, [Schülerband]] (Teil 2 = Schuljahr 6 - 8, [Schülerband])

zur Abwechslung das junge Ehepaar in den Wald fuhr; wenigstens 
vermochte sie nicht, dem unbotmäßigen Übermut im Herzen zu zürnen, 
als die beiden vor ihren Augen auf dem nnköniglichen Gefährt davon¬ 
rollten. 
Der frische Lebensmut, die schlagfertige Rede, das gutmütige und 
heitre Hinnehmen jeder nur irgend erträglichen Eigenart, all diese weib¬ 
lichen Vorrechte waren ihrem Wesen eingeboren. Sie brauchte nicht 
ihrem Herzen Zwang anzutun, um ihre Würde zu wahren; das war 
ihre Würde, daß sie ihr Herz frei konnte walten lassen gegen Vornehme 
wie gegen Geringe und gar nicht anders konnte als in edler Haltung 
bleiben. Sie bedurfte nichts, um glücklich zu sein, als was aller 
Gebildeten Gemeingut ist; als sie in den schweren Jahren nach der 
Jenaer Schlacht auf der einfachen bürgerlichen Villa bei Königsberg 
lebte, da sprach sie es aus, daß sie habe, was sie brauche: neben dem 
guten Gewissen gute Bücher und ein gutes Pianoforte. 
2. 
So lebte sie das beglückte Leben des deutschen Mädchens, der 
deutschen Frau in den übermütigen Jahren der Jugend wie in der 
heitern Anfangszeit ihrer Ehe, die junge Mutter im reichen Kranze 
der Kinder; und so hat sie denn gelitten, als die schrecklichen Jahre 
herankamen, in denen sie dem Vater schrieb: „Mit uns ist es ans", und 
von dem wohlwollenden französischen Marschall den guten Rat hin¬ 
nehmen mußte, ihre Juwelen rechtzeitig zu verkaufen, um für die Flucht 
über die Grenze ihres Königsreichs versehen zu sein. Wie es bei 
rechten Frauen immer der Fall ist, entwickelte erst das Unglück die 
volle Kraft ihrer Natur, den Scharfblick, das Vertrauen, die Tatkraft, 
die in solchen Lagen die Männer oft beschämt. Es ist wunderbar, 
mit welchem unbewußten Abscheu sie nicht bloß dem Überwinder, 
sondern auch dessen moralischen Bundesgenossen in der Heimat, den 
Lombard und Genossen, gegenüberstand; noch wunderbarer, wie sie 
so durchaus nach den rechten Männern griff, wie sie Blüchers Art 
erfaßte und mit felsenfestem Vertrauen an Stein hielt, dem Manne 
„großen Herzens und umfassenden Geistes", wie sie ihn bezeichnet, ihm, 
der dann der Eckstein der Wiedergeburt Deutschlands geworden ist. 
Sie vielleicht allein hat nie gezweifelt an Napoleons endlichem Sturz; 
aber sie fühlte es auch, daß ihre zart besaitete Natur nicht bestimmt 
war, die Erlösung zu schauen, die sie im Geiste ahnte: sie hatte zu 
viel weinen müssen, um ein langes Leben fertig zu bringen.
	        
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