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trank und fragte abermal: Wo sind meine Söhne, daß sie
auch trinken vom Weine des Segens?“ — „Sie werden
nicht weit sein,“ sprach sie, und setzte ihm vor zu essen. Er
war guter Dinge, und als er nach der Mahlzeit gedankt hatte,
sprach sie: „Rabbi, erlaube mir eine Frage!“ — „So sprich
nur, meine Liebe!“ antwortete er. — „Vor wenig Tagen
gab mir jemand Kleinodien in Verwahrung, und jetzt fordert
er sie zurück. Soll ich sie ihm wiedergeben?“ — „Dies
sollte meine Frau nicht erst fragen,“ sprach Rabbi Meir.
„Wolltest du Anstand nehmen, einem jeden das Seine wieder⸗
zugeben?“ — „O nein!“ versetzte sie, „aber auch wieder—
geben wollte ich ohne dein Vorwissen nicht.“ — Bald darauf
führte sie ihn auf den Söller, trat hin und nahm das Ge—
wand von den Leichnamen. — „Ach meine Söhne!“ jammerte
der Vater; meine Söhne .. . und meine Lehrer! Ich habe
euch erzogen, aber ihr habt mir die Augen erleuchtet im
Gesetze“ — Sie wendete sich hinweg und weinte. Endlich
ergriff sie ihn bei der Hand und sprach: „Rabbi, hast du
mich nicht gelehrt, man müsse sich nicht weigern wieder—
zugeben, was uns zur Verwahrung vertraut ward? Siehe,
der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name
des Herrn sei gelobet!“ — „Der Name des Herrn sei ge—
lobet!l“ stimmte Rabbi Meir mit ein. „Wohl heißt es:
Wer ein tugendhaft Weib gefunden, hat einen größern
Schatz, denn köstliche Perlen. Sie thut ihren Mund auf mit
Weisheit, und auf ihrer Zunge ist holdselige Lehre.“
22. Der Entschlossene.
Fr. Jacobs.
In einem braunschweigischen Städtchen kam eines Tages
Feuer auss Die Flamme hatte das Dach eines Hauses er—
griffen und näherte sich einem Boden, auf welchem einige
Fäffer Pulver standen. Die Gefahr war groß; und da der
schlimme Umstand schnell bekannt geworden war, wollte nie—