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E. Aus der Sage und Geschichte des deutschen Volles
Die Deutschen beten gern, und mir schien es, als ob mancher beim Vor—
wärtsgehen einen Augenblick das Haupt beugte, als wäre er in der Kirche.
Wer war das aber, der dort in den Kampf mit hineinstürzte im weißen
Haare, mit fliegenden Rockschößen? Ein Feldgeistlicher, eine mächtige
Labeflasche in der einen und das Gebetbuch in der andern Hand. Der
gute Mann, der da im Kugelregen dahineilte, war ganz außer Atem und
über und über mit Schmutz bespritzt; sein Pferd war ihm, wie er mir
keuchend erzählte, schon unter dem Leibe erschossen worden. Als ich ihn
wiedersah, saß er hinter einer Mauer im Dorfe und zwar bei einer Gruppe
hingestreckter Krieger und erhob unter dem Brüllen der Geschütze seine
Stimme im Gebete zu Gott.
Nach dem Berichte einer englischen Beitung.
252. Die Wiederaufrichtung des Deutschen Kaiserkums.
Zu Versailles ¶prich: Werßahj, im Schlosse des Königs Ludwig XIV.
von Frankreich, wurde am 18. Januar 1871 durch eine feierliche Handlung
König Wilhelm von Preußen zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Erst
fand ein Gottesdienst mit Gesang und Predigt statt. Mit dem erheben—
den Gesange „Nun danket alle Gott!“ schloß die kirchliche Feier.
Der König erhob sich sodann und begab sich auf die Erhöhung,
wo alle Fahnenträger standen. Alle Prinzen und Fürsten und Graf
Bismarck folgten ihm. Hier stand der greise, fast vierundsiebzigjährige
König, zu seiner Rechten der Kronprinz, hinter ihm die Fürsten. Mit
bewegter Stimme erklärte der König, daß ihm die Kaiserwürde von allen
deutschen Fürsten, freien Reichsstädten und den Vertretern des Nord—
deutschen Bundes angetragen worden sei, und daß er sie annehme. Der
Bundeskanzler Bismarck verlas hierauf die vom Kaiser erlassene Bot—
schaft, deren Schluß lautet:
„Wir übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der
Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder
zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands,
gestützt auf die geeinte Rraft seines Volkes, zu verteidigen.
Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß es dem deutschen Volke
vergönnt sein wird, den Lohn seiner opfermütigen Kämpfe in dauern⸗
dem Frieden zu genießen.
Uns aber und Unsern Nachfolgern an der Raiserkrone wolle
Gott verleihen, allzeit Mehrer des Reichs zu sein, nicht an kriegerischen
Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens, auf
dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.“