32 II. v. Sybel, Erste Jahre des Bundestags.
Zug, daß aller liberale Eifer, alle Verehrung für Cauning, aller
Groll gegen die Revolution in den weitesten Kreisen zwar eine gründ¬
lich pessimistische Stimmung, keineswegs aber den Drang zu politischer
Thätigkeit hervorrief. Man las die Zeitungen, ärgerte sich über die
englischen Tories, freute sich 1829 über die Niederlage der türkischen
Heere und der österreichischen Diplomatie, ballte die Faust gegen
Polignae, besprach das alles mit den guten Freunden und ging
dann wieder an das Geschäft oder zu Bette. Es war auch nicht
bloß der Druck der Polizei und der Censur, welcher die Menschen
so zahm und friedfertig machte. Die große Masse des Volkes be¬
gann soeben erst sich aus der Not und Verarmung der Kriegszeit
wieder zu einigem Wohlstand empor zu arbeiten; bei den meisten
lastete die Sorge um das tägliche Brot schwerer auf den Herzen als
der Kummer über den politischen und nationalen Zustand, und auch
in den süddeutschen Kammern fand damals eine Verhandlung über
Gewerbepolizei aufmerksamere Hörer als eine Klage über Ceusur oder-
politische Prozesse. Mit einigem Geschick konnte jede Regierung bei
solchen Stimmungen ohne Schwierigkeit die Leitung ihrer Kammern
gewinnen. Wohl hielt die liberale Opposition ihr Banner aufrecht,
bedeutende Erfolge aber, wie in der ersten Freude der Gründungs¬
jahre, hatte sie nicht aufzuweisen und um so mehr über die Gleich¬
gültigkeit ihrer Mitbürger zu klagen, womit denn zusammenhing, daß
ihre hitzigern Köpfe im Urteil immer radikaler und in dem Abscheu
gegen den bestehenden Zustand immer grimmiger wurden. Aber
einen bemerkbaren Einfluß gewannen sie nicht; soweit der Blick
reichte, lag eine tiefe politische Stille über ganz Deutschland.