46
zu trösten suchte: „Weine nicht, mein Töchterehen, ich will
deine Mutter sein!“
„Aber Frau“, höh jetzt der Mann an, „es sind noch zwei
andere Kinder da, eine Schwester und ein Bruder, denen es
nicht besser geht.“ — „Nun, mit Gott“, sprach sie, „wenn du willst,
so hole sie auch. Gott wird für Brot ja sorgen.“
Der Mann liess sich das nicht zweimal sagen. Am nächsten
Morgen frühe spannte er einen Wagen an und war zeitig hei
seinem Schwager. Doch der Gutsherr des Dorfes war v'on ganz
anderem Sinne. Er liess den Pachter rufen, schalt ihn, dass er
ohne Erlaubniss das jüngste Kind mit sich genommen und sagte:
„Der Vater dieser Kinder ist mir über fünfzig und etliche Thaler
schuldig geblieben, und dafür will ich sie leibeigen machen.“
„Nimmermehr, gnädiger Herr!“ antwortete der edle Pachter,
„wenn es auf die fünfzig und etliche Thaler ankommen soll, so
reise ich nach Hause und hole sie.“ Er ritt wirklich heim,
kehrte mit dem Gelde zurück, bezahlte die Schuld und nahm
die Kinder mit sich.
Wenn man ihn in späteren Jahren um seine Kinder be¬
fragte, so pflegte er frohen Herzens zu antworten: „Ich habe
zehn Kinder, sieben eigene, und drei habe ich mir gekauft.“
Er erzog die drei Waisen mit und gleich seinen eigenen Kindern,
und es hat ihn nicht gereut. Sie geriethen wohl, arbeiteten
für ihn nach besten Kräften, fanden ihr gutes Auskommen und
blieben lebenslänglich dankbar. Pustkuehen-Glanzow.
45. Trau Hätt.
In uralten Zeiten lebte im Tyrolerland eine mächtige Rie¬
senkönigin, Frau Hütt genannt, und wohnte auf den Gebirgen
über Innsbruck, die jetzt grau und kahl sind, aber damals voll
Wälder, reicher Aecker und grüner Wiesen waren. Auf eine
Zeit kam ihr kleiner Sohn heim, weinte und jammerte. Schlamm
bedeckte ihm Gesicht und Hände, dazu sah sein Kleid schwarz
aus wie ein Köhlerkittel. Er hatte sich eine Tanne zum
Steckenpferd abknicken wollen, weil der Baum aber am Rande
eines Morastes stand, so war das Erdreich unter ihm gewichen
und er bis zum Haupt in den Moder gesunken, doch hatte er¬
sieh noch glücklich herausgeholfen. Frau Hütt tröstete ihn,
versprach ihm ein neues, schönes Röcklein und rief einen Diener,