Full text: [Schuljahr 5, [Schülerband]] (Schuljahr 5, [Schülerband])

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zu trösten suchte: „Weine nicht, mein Töchterehen, ich will 
deine Mutter sein!“ 
„Aber Frau“, höh jetzt der Mann an, „es sind noch zwei 
andere Kinder da, eine Schwester und ein Bruder, denen es 
nicht besser geht.“ — „Nun, mit Gott“, sprach sie, „wenn du willst, 
so hole sie auch. Gott wird für Brot ja sorgen.“ 
Der Mann liess sich das nicht zweimal sagen. Am nächsten 
Morgen frühe spannte er einen Wagen an und war zeitig hei 
seinem Schwager. Doch der Gutsherr des Dorfes war v'on ganz 
anderem Sinne. Er liess den Pachter rufen, schalt ihn, dass er 
ohne Erlaubniss das jüngste Kind mit sich genommen und sagte: 
„Der Vater dieser Kinder ist mir über fünfzig und etliche Thaler 
schuldig geblieben, und dafür will ich sie leibeigen machen.“ 
„Nimmermehr, gnädiger Herr!“ antwortete der edle Pachter, 
„wenn es auf die fünfzig und etliche Thaler ankommen soll, so 
reise ich nach Hause und hole sie.“ Er ritt wirklich heim, 
kehrte mit dem Gelde zurück, bezahlte die Schuld und nahm 
die Kinder mit sich. 
Wenn man ihn in späteren Jahren um seine Kinder be¬ 
fragte, so pflegte er frohen Herzens zu antworten: „Ich habe 
zehn Kinder, sieben eigene, und drei habe ich mir gekauft.“ 
Er erzog die drei Waisen mit und gleich seinen eigenen Kindern, 
und es hat ihn nicht gereut. Sie geriethen wohl, arbeiteten 
für ihn nach besten Kräften, fanden ihr gutes Auskommen und 
blieben lebenslänglich dankbar. Pustkuehen-Glanzow. 
45. Trau Hätt. 
In uralten Zeiten lebte im Tyrolerland eine mächtige Rie¬ 
senkönigin, Frau Hütt genannt, und wohnte auf den Gebirgen 
über Innsbruck, die jetzt grau und kahl sind, aber damals voll 
Wälder, reicher Aecker und grüner Wiesen waren. Auf eine 
Zeit kam ihr kleiner Sohn heim, weinte und jammerte. Schlamm 
bedeckte ihm Gesicht und Hände, dazu sah sein Kleid schwarz 
aus wie ein Köhlerkittel. Er hatte sich eine Tanne zum 
Steckenpferd abknicken wollen, weil der Baum aber am Rande 
eines Morastes stand, so war das Erdreich unter ihm gewichen 
und er bis zum Haupt in den Moder gesunken, doch hatte er¬ 
sieh noch glücklich herausgeholfen. Frau Hütt tröstete ihn, 
versprach ihm ein neues, schönes Röcklein und rief einen Diener,
	        
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