Full text: Lesebuch für die 6. Klasse der Volksschulen in München (Klasse 6, [Schülerband])

5. Das Tischgebet. 
alle Menschen gehen hinein; unser Pfarrer hat den Chorrock an und 
der Lehrer sitzt an der Orgel.“ Da sagte der andere: „Ich hätt's mein 
Lebtag nicht geglaubt, daß einem der Sonntag so weh tut und die Seel 
drückt, wenn man ihn nicht hat.“ Und nun schwiegen beide und dachten 
an ihre Heimat und es stand ihnen ihr Dorf vor der Seele mit den grünen 
Wäldern und Feldern, mit den blauen Bergen weit hinaus. Hier und dort 
wird geläutet und über die Wiesen und durch die Gebüsche gehen die Kirch⸗ 
leute und nachher wird alles still draußen; nur die Hirten und die Herden 
und die Vögel sind noch da und die Sonne scheint friedlich. 
Dies ging eins nach dem anderen den beiden durch den Gedanken. 
Aber unter ihnen rauschten und plätscherten die Wellen an den Seiten des 
Schiffes. Und wie sie so daran in ihrem Herzen gedachten, ward's ihnen 
inwendig heiß zum Weinen. Da stand der eine auf, ging an seine Kiste, 
schloß sie auf und nahm eine Bibel und ein Gesangbuch heraus und kam 
wieder zu seinem Kameraden. Und er las die Epistel und das Evangelium 
desselbigen Sonntags vor und darauf betete der andere den Glauben. Und 
danach schlugen sie das Gesangbuch auf und huben an, mit lauter Stimme 
zu singen: „Wer nur den lieben Gott läßt walten und hoffet auf ihn alle⸗ 
zeit. — Es waren aber noch andere Auswanderer aus Deutschland mit 
auf dem Schiffe. Wie die das deutsche Kirchenlied hören mitten auf dem 
Meer, geht ihnen das Herz auf und sie kommen herzu und stellen sich im 
Kreise um unsere beiden Bauersleute, entblößen ihr Haupt und singen mit: 
„Wer nur den lieben Gott läßt walten 
und hoffet auf ihn allezeit, 
den wird er wunderbar erhalten 
in aller Not und Traurigkeit.“ 
Und der Gesang kam immer kräftiger aus Herzensgrund und schallte weit— 
hin in die See hinaus und das Meer rauschte darein wie eine Orgel. Da 
schwebte der Geist Gottes über den Wassern. 
Die beiden Bauersleute aber und alle die anderen, die dabei waren, 
hatten sich das Trauern aus der Seele herausgesungen und es war ihnen 
so selig zumute, als wären sie daheim im teuern Vaterlande. 
5l Das dFischgebet. 
Aus dem Lesebuch von Kellner. 
Der fromme König Alfons von Aragonien erfuhr einst zu seinem 
Leidwesen, daß seine Edelknaben nichts vom Tischgebete wissen wollten 
und dasselbe gleichgültig unterließen. Eines Tages nun erhielten die 
Edelknaben insgesamt die unvermutete Einladung, mit dem Könige 
selbst zu Mittag zu speisen. Sie traten nun festlich geschmückt und voll 
Freude über diese seltene Ehre zur bestimmten Stunde in den könig⸗
	        
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