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blafsen Mann trat und ihm die Goldstücke reichte, schüttelte der⸗
selbe langsam mit dem Kopfe und sagte mit matter Stimme:
„Ich bin nicht arm.“
Die Königin erfuhr das, und ihr weiches Herz schmerzte die
Besorgnis, daß sie den kranken Mann mit dem Almosen gekränkt
habe. Schnell kehrte sie um, und indem sie sich selbst an den
Unbekannten wandte, sagte sie mit teilnehmender Stimme: „Ich
habe Ihnen nicht wehe tun wollen.“
Der Mann sland gerührt vor seiner Königin und konnte kaum
ein Wort des Dankes für diese übergroße Teilnahme sagen.
„Wenn Sie nicht arm sind, so sind Sie krank,“ fuhr die
Königin fort. „Und kann ich Ihnen mit Geld nicht helfen, so
kann ich vielleicht zu Ihrer Genesung etwas tun. Sagen Sie
es mir.“
Nun erzühlte der Mann, daß er den Winter über schwer
danieder gelegen habe und in der warmen Frühlingssonne jetzt
bei seinem ersten Ausgange sich erquicke. Er war ein wohl—
habender Bürger Potsdams, der Maurermeister Leeden.
„So werde ich Ihnen“, sagte die Königin, „Erfrischungen
senden, die Sie vielleicht nicht so gut bekommen können. Der
König liebt die guten Bürger der Stadt, und ich teile von
Herzen diese Empfindung.“
Mehr als die Frühlingssonne hatte die Königin den Mann
erquictt. Er empfing viele Wochen lang jeden Mittag das
herrlichste Obst und andere Erfrischungen, bis er ganz genesen war.
50. Stein und Scharuhorst.
Karl A. Kruger.
Bilder aus der Weltgeschichte und Sage. Danzig 1878. S. 269.
Im Vertrauen auf Gott unternahm es Friedrich Wilhelm III.,
schon mitten in der Zeit der größten Drangsale heilsame Ver⸗
besserungen in seinem Staate durchzuführen. Hierin war der
Minister vom Stein sein treuester Ratgeber. Derselbe hatte
einen glühenden Haß gegen die Fremdherrschaft Napoleons und
wollte allen Schichten der Bevölkerung vaterländische Gesinnung
einprägen. Jeder sollte am öffentlichen Wohl teilnehmen. Der
Balernsiand war damals noch erbuntertänig, d. h. der Bauer