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65. Der alte Barbarossa.
Fr. Ruckert.
Gesammelte Gedichte. Frankfurt a. M. 1848. II. S. 261.
Der alte Barbarossa,
Der Kaiser Friederich,
Im unterird'schen Schlosse
Hält er verzaubert sich.
Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloß verborgen
Zum Schlaf sich hingesetzt.
Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit
Und wird einst wiederkommen
Mit ihr zu seiner Zeit.
Der Stuhl ist elfenbeinern,
Darauf der Kaiser sitzt;/
Der Aisch ist marmelsteinern,
Worauf sein Haupt er stützt.
Sein Bart ist nicht von Flachsen,
Er ist von Feuersglut,
Ist durch den Tisch gewachsen,
Worauf sein Kinn ausruht.
Er nickt als wie im Traume,
Sein Aug' halb offen zwinkt,
Und je nach langem Raume
Er einem Knaben winkt.
Er spricht im Schlaf zum Knaben:
„Geh' hin vors Schloß, o Zwerg,
Und sieh, ob noch die Raben
Herfliegen um den Berg.
Und wenn die alten Raben
Noch fliegen immerdar,
So muß ich auch noch schlafen
Bezaubert hundert Jahr.“
Die Raben sind verschwunden
Nun vom Kyffhäuserberg;
Es wird nicht mehr gefunden
Der Kaiser und sein Zwerg.
Es steht in altem Glanze
Des Reiches Herrlichkeit,
Das Vaterland, das ganze,
In Brudereinigkeit.
Und auf dem Kaiserthrone
Ein Sieger sitzt, ein Held,
Dem Barbarossas Krone
Gebührt vor aller Welt.
Des Volkes Blut und Leben,
Der Fürsten Einigkeit,
Sie haben uns gegeben
Die alte Herrlichkeit.