Full text: Lesebuch für die obere Stufe (Abteilung 2, [Schülerband])

140 
15. Das Riesengebirge. 
15. Das Riesengebirge. 
1. Das Riesengebirge bildet den höchsten Teil der Sudeten. Die 
Höhe seiner Kämme (siehe Abbildung) beträgt 1300 Meter und die der 
Riesen- und Schneekoppe, welche sich wie ein Kegel darauf erhebt, noch 
300 Meter mehr. Das Gebirge ist bewohnt, und der Reisende, welcher 
dasselbe zum ersten Male durchzieht, fühlt sich nicht wenig überrascht, auf 
der Höhe desselben einzelne Wohnhäuser, weidendes Vieh, grasmähende 
Arbeiter, Kräuter- und Moossammler anzutreffen. Dörfer giebt es aller— 
dings auf dem Gebirge selbst nicht, aber viele zerstreute Wohnungen, 
Bauden genannt, deren Bewohner Rindvieh- und Ziegenzucht treiben. 
Diese Bauden sind von Holz errichtet; die Wohnstube, mit einem großen 
Kachelofen, einigen Tischen und Bänken ausgestattet, ist geräumig. Das 
Dach ist mit Schindeln gedeckt. Der Reisende findet darin eine gute 
Herberge. 
2. Im Frühjahr ist das Viehaustreiben, im Sommer die Wande— 
rung auf die Waldweide die Freude und Belustigung der Bewohner dieser 
einsamen Berghütten und der Dörfer am Fuße des Gebirges. Um Jo— 
hannis wird gewöhnlich das Vieh aus den Ställen „zu Berge getrieben“. 
Beim Schalle langer, hölzerner Schalmeien, bei fröhlichem Gesange und 
dem Geläute der Glocken, deren jedes Rind eine am Halse trägt, treibt 
man die blökenden Herden zwischen Fichten und Tannen zu den Sommer— 
bauden in das Hochgebirge. Das ist die Zeit der Ernte. Da wird viel 
Butter und Käse gemacht für den eigenen Bedarf und für auswärtigen 
Absatz. 
3. Der Übergang aus dem kurzen Sommer in den Winter ersolgt 
oft ungewöhnlich schnell. Die Wohnungen der Bergbewohner werden 
öfters so hoch überschneit, daß man keine Spur von ihnen entdecken würde, 
verriete nicht der aufsteigende Dampf der Rauchfänge die Stelle, wo sie 
stehen. So sind die Bewohner bei einfallenden Schneestürmen und Wind— 
wehen oft innerhalb weniger Stunden lebendig begraben und müßten ohne 
Rettung zugrunde gehen, hätten sie nicht beizeiten sich mit allem 
Nötigen versehen. Vornehmlich sind die Bewohner der einsam auf den 
hohen Gebirgen gelegenen Bauden gewöhnlich monatelang außer aller 
Verbindung mit den Thalbewohnern gesetzt, und selbst Leichen müssen oft 
wochenlang im Schnee aufbewahrt werden, bis eine mildere Witterung 
es gestattet, sie auf dem mehrere Stunden entfernten ordentlichen Be— 
gräbnisplatze zu beerdigen. Wird dennoch eine Wanderung zu einer be— 
nachbarten Baude notwendig, so müssen die Bewohner ihren Ausgang 
entweder durch den Dachgiebel nehmen, oder sich nach Bergmannsart ihre 
Wege stollenartig durch den Schnee an den Tag arbeiten, und dann ihre 
beschwerliche Reise mit Hilfe der Schneeschuhe oder bei Glatteis mit Hilfe
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.