Object: Für das siebente, achte, neunte (und zehnte) Schuljahr (Teil 3, [Schülerband])

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so mach' dich auf die Jagd und erjage dir einen Hirsch; ans seinem 
weichen Fell laß dir einen Handschuh machen, den stopfe mit Wolle 
aus, so magst du wohl Unkundige mit dem Scheine trügen. Doch 
eines wird dich verraten: fürder mußt du das Schwert an die ver¬ 
kehrte Seite gürten; mit der verkehrten Hand wirst du dir deines 
Vaters Krone aufsetzen und alles verkehrt und linkisch machen." Walther 
versetzte daraus: „Weshalb, Einaug', schlägst du so mutwillig aus? 
Dein Gesicht ist auch eben keine Zier, und deine Leute sind wahrlich zu 
beklagen; denn fürder wirst du sie nur von der Seite scheel ansehen.. 
Und schickst du mich aus die Pirsch nach Hirschen, so warne ich dich 
vor Eberbraten; der ist schwer zu beißen für zahnlosen Mund und 
macht wehe Augen. Darum aus alter Liebe gebe ich dir den Rat, 
wenn du nach Worms heimgekommen, so laß dir einen dicken Hirse¬ 
brei kochen, der läßt sich leichter beißen und ist heilsam dazu." 
Mit solchen Scherzen neckten die Helden einander und erneuerten 
die alte Freundschaft. Darauf schieden sie, die einen nach Worms, 
Walther mit der schönen Hildegunde nach Aquitanien. Dort herrschte 
er noch dreißig Jahre als weiser Völkerhirt, seiner tapfern Thaten 
wegen genannt Walther mit der starken Hand. 
164. Da8 Nibelungenlied. 
Nach A. F. C. Vilmar. 
1. Kriemhild und Siegfried. 
Im Burgundenlande, auf der alten Königsburg zu Worms an 
dem Rheine, wuchs eine edle Königstochter nach des Vaters frühem 
Tode zur blühenden Jungfrau heran, voll Liebreiz und Anmut. 
Leise, ahnungsvolle Träume umschweben das sinnende Haupt der 
lieblichen Kriemhild in der stillen Abgeschiedenheit, in welcher 
sie der edlen Zucht und Sitte ihrer Zeit gemäß ihre Kindheit und 
erste Jugend verlebte. Einen Falken, so zeigt ihr ein Traumgesicht, 
zieht sie auf und pflegt ihn als ihren Schützling manchen Tag, 
da stürzen sich zwei Adler herab und erdrücken mit ihren Klauen 
das zarte Tier vor ihren Augen. Schmerzlich bewegt erzählt die 
Erwachende den Traum der lieben Mutter. „Der Falke,“ deutet 
diese das stille und bange Ahnen der Tochter, „der Falke ist ein 
edler Mann, dem deine Zukunft bestimmt ist; wolle Gott ihn be¬ 
hüten, daß du nicht früh ihn verlierst.“ „Was sagt Ihr, liebe.
	        
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