Full text: Lesebuch für die obere Stufe (Abteilung 2, [Schülerband])

54. Sedan und die Gefangennahme Napoleons. 
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Aber der edle König Wilhelm hat nicht Böses mit Bösem ver— 
golten. Er hat nicht bei sich gedacht, nun habe ich den Feind in 
meiner Hand; nun will ich ihn züchtigen. Er hat ihn nicht in den 
Kerker geworfen, nicht schimpflich behandelt, sondern feurige Kohlen auf 
sein Haupt gesammelt. Es war am 1. Seplember abends, als Napoleon 
den Brief an den König sandte. Dieser antwortete ihm in freundlicher 
Weise und ersuchte ihn, einen General zu ernennen, der wegen der 
Übergabe der Festung mit Bismarck und Moltke verhandie. Er 
Fürst Bismarck. 
Graf Moltke 
schrieb den Brief auf freiem Felde. Es waren nur zwei Stühle vor— 
handen. Auf einen setzte sich der König, den andern hielt ein Offizier 
in die Höhe, so daß er als Schreibtisch diente. Der französische 
General empfing mit entblößtem Haupte den Brief aus der Hand des 
Königs, um ihn seinem Kaiser zu überbringen. Die Sonne sank, und 
der König sowie der Kronprinz suchten ihre Quartiere und wurden auf 
dem Wege allenthalben mit unglaublicher Begeisterung begrüßt. Selbst 
die bestürzten Dorfbewohner gaben sich den Anschein, als teilten sie 
die Freude der Sieger, indem sie so gut, als sie konnten, ihre Fenster 
illuminierten. Es war spät am Abende, als der Kronprinz sich zur 
Tafel setzte und zum ersten Male während dieses Feldzuges ein Lebe— 
hoch bei Tische ausbrachte. „Der König und die Armee!“ lautete 
das Wort, das von allen Tischgenossen stürmisch erwidert wurde. 
Napoleon aber hatte die Nacht keine Ruhe; schon früh 5 Uhr 
verließ er in einem Wagen, nur von wenigen Offizieren begleitet, 
Sedan. Es war, als litte es ihn nicht mehr unter seinen Soldaten, 
und als fürchte er, von ihnen beschimpft zu werden. So kam er schon 
um 6 Uhr zu Bismarck. Der lag noch zu Bett, als ihn ein Ad— 
jutant mit der Nachricht überraschte, der Kaiser komme. Er fuhr in 
aller Eile in seinen blauen Kürassierwaffenrock mit gelben Aufschlägen,
	        
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