III. Deutsches Land und Volk.
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wohl nicht wissen, was sie mit ihrem vielen Gelde anfangen sollen; aber beneidet
haben wir schlichten Zwirnklöppler sie deshalb doch niemals. Und dann, welch ein
Vorzug ist bei unserm Klöppeln! Zu den seidenen Spitzen gehört eine grosse Übung
und eine sehr geschickte Hand, aber auf unsere zwirnenen Spitzen versteht sich jedes
Kind. Fünfjährige Kinder klöppelten in Wayre. Und seht nur her, was wäre leichter
als das! Da seh’ ich erst das Muster an, dann schlinge ich den Faden um den einen
Stab, dann werden beide Stäbe kreuzweis über einander gelegt, und so wickelt sich
der Faden ganz von selbst um die Häkchen, und — seht nur her, da ist schon eine
Masche fertig! .... Aber Ihr weint ja? Herrin, was habt Ihr?“
Die Hände über der Brust gefaltet, das Auge zum Himmel erhoben, — so stand
Barbara Uttmann da, und Thränen des Dankes und unendlicher Freude rollten über
ihre Wangen, und ihr Herz jubelte: „Ja, mein Gott und Vater, wie du willst, so ge-
schieht’s! Auf deine Gnade habe ich gebaut, und du hast uns diese Arme gesandt,
damit unsere Trübsal in Freude verwandelt werde und nun das Glück in alle Häuser der
Stadt wieder einziehe. — Liebes Weib, du bleibst bei uns! Ich will dir und deinen Kindern
Freundin, Schwester, Mutter sein. Sieh, in diesem Orte herrscht Trauer. Der Hammer
des Bergmanns rostet, das Vieh stirbt hin, verwüstet liegen die Felder. Mein Gemahl
giebt mit vollen Händen; doch was können die Gaben des einen sein, wenn alle Not
leiden? — Lehre uns das Klöppeln! Wir wollen arbeiten Tag und Nacht und mit
unsern Spitzen die kräftigsten unter uns durch das ganze Land senden und so wieder
Wohlstand und Freude in unsere Häuser bringen; und wenn’s Gott gefällt, wird auch
wie bei dir in Wayre ein Sümmchen zurückgelegt werden, wenn abermals eine traurige
Zeit über uns hereinbrechen sollte. Deine Hand, gute Frau! du willst?“
Mit beiden Händen schlug die Brabanterin ein; halb nur verstand sie Barbaras
Worte.
Am andern Morgen wurden auf Herrn Uttmanns Betreiben alle Leute mit ihren
Kindern, — nur die unter fünf Jahren blieben daheim — zusammengerufen. Der Berg¬
herr, der, als er am vergangenen Abend heimgekehrt war, seine fromme Gemahlin nur
stumm in die Arme geschlossen hatte, teilte jetzt den Leuten Barbaras Pläne mit.
Staunen und Zweifel ringsum, und auf die Brabanterin und deren Kinder blickte man
mit ungläubigen Mienen. Aber unser würdiges Paar beachtete das alles nicht; es liess
Stäbchen anfertigen, die der Schmied mit Haken versah, und Klaus ward nach Dresden
geschickt, um Zwirn zu kaufen, und es kam von dorther auch ein Maler, der Muster
nach Muster zeichnete. Der Unterricht begann; wie im Spielen lernte man das Klöppeln.
Darüber wurde so manche Sorge vergessen; denn mit jedem Tage ward der Zweifel
geringer und die Hoffnung grösser; und nun erschallte nach langer Zeit hier wieder
ein artiger Scherz, dort ein heiteres Liedchen. Und als zwei Monate verflossen waren,
— o, wer beschreibt die Freudenrufe, die da durch Annaberg ertönten! Denn zwei,
die man derweil mit den fertigen Spitzen hinausgeschickt hatte, waren eben, und zwar
mit leeren Ranzen, wieder heimgekehrt, aber dafür mit so vollen Taschen, dass man
meinte, der Reichtum müsse bis in alle Ewigkeit währen.
Die Brabanterin konnte diese Freude nicht mehr teilen. Unweit der grossen Linde,
die noch heute inmitten des Kirchhofes steht, wurde sie wenige Tage vorher bestattet;
der Gram um den Verlust ihres Mannes und all das Entsetzliche, das über sie herein¬
gebrochen war, hatten den Todeskeim in ihr Herz gesenkt. Und das hatte ruhiger
brechen können; denn ihre Kinder lagen ja in Barbaras Armen. Gepriesen sei diese
Frau! So lange die Sonne am Himmel stand, legte sie die Klöppel nicht aus der
Hand, und das musste der beste Sporn für alle übrigen sein. Und mit der Freudigkeit
und Hoffnung wuchsen die Spitzenvorräte, obgleich die rüstigsten Männer immer mit
der fertigen Ware wieder von dannen zogen, durch ganz Sachsen und Böhmen. Erst
der strenge Winter gebot ihnen Einhalt.
Vaterland. Oberstufe I.
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