Full text: [Teil 6, [Schülerband]] (Teil 6, [Schülerband])

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tief hinab in den Grund und sucht und findet Nahrung. 
Ja, und die Neugier sticht's; gar gern auch möcht' es erfahren, 
wie's denn da oben wohl weiter ist. Ganz heimlich und furchtsam 
guckt es zum Boden heraus — der tausend! das will ihm gefallen! 
Unser lieber Herrgott, der schickt ein Engelchen nieder: 
„Bring ihm ein Tröpfchen Tau und sag ihm freundlich Willkommen!“ 
Und es trinkt, und es schmeckt ihm so wohl, und es streckt sich behaglich. 
Derweil kämmt sich die Sonne, und sauber gekämmt und gewaschen 
kommt mit dem Strickzeug sie hervor aus den Bergen gegangen, 
wandelt ihren Weg hoch an der himmlischen Landstraß', 
strickt und sieht herab, gleichwie eine freundliche Mutter 
nach den Kindern sieht. Sie lacht dem Keimchen entgegen, 
und das tut ihm so wohl bis tief an die Wurzeln herunter. 
„Solche schöne Frau und doch so gütig und freundlich!“ 
Aber was strickt sie denn nur? Gewölk aus himmlischen Düften. 
Da! schon tröpfelt's, ein Spritzerchen kommt, drauf regnet es tüchtig. 
Keimchen trinkt sich satt. Drauf weht ein Lüftchen und trocknet's, 
und es sagt: „Jetzt kriech' ich auch nie mehr unter den Boden. 
Nein, um keinen Preis! Da bleib' ich, geh's, wie es gehn mag!“ 
Esset, Kinder, gesegn' es euch Gott, und wachst und gedeihet! 
Schwere Zeiten warten aufs Keimchen, Wolken an Wolken 
stehn am Himmel Tag und Nacht, und die Sonne versteckt sich. 
Auf den Bergen schneit es, und weiter nach unten zu hagelt's. 
Hu! huhu! wie klappert doch jetzt und wimmert mein Keimchen, 
und der Boden ist zu, und es hat gar kümmerlich Nahrung. 
„Ist denn die Sonne tot,“ so klagt es, „daß sie nicht da ist? 
Oder fürchtet auch sie vor der Kälte sich? Wär' ich geblieben, 
wo ich sonst war, still und klein im mehligen Körnchen 
und daheim im Boden, es war so feucht und so warm drin⸗ 
Seht, ihr Kinder, so gehts; ihr werdet noch auch so sprechen, 
wenn aus dem Haus ihr kommt und unter den fremden Gesichtern 
schaffen müßt und euch plagen und Zeug und Brot euch verdienen: 
„Wär' ich daheim beim Mütterchen doch und hinter dem Ofen!“ 
Tröst' euch Gott! Auch das hat ein End', einmal wird es besser, 
wie's dem Keimchen auch erging. Am heiteren Maitag 
weht es so lau, und die Sonne, sie steigt so kräftig vom Berg auf 
und sieht nach, was das Keimchen macht, und gibt ihm ein Schmätzchen; 
ja, da ist ihm wohl, und es weiß sich vor Lust nicht zu lassen. 
Und schon prangen die Wiesen mit Gras und farbigen Blumen, 
und schon duftet die Kirschblüt', und es grünet der Pflaumenbaum, 
und schon schießt in die Höh' der Roggen und Weizen und Gerste,
	        
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