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gerufen?" sondern nahm das Kind aufseine Schultern und stieg
in den Strom. Aber so leicht das Kind anfänglich gewesen
war, so schwer wurde es ihm auf einmal. Der starke, riesen¬
hafte Mann, welcher schon so viele Tausende getragen hatte,
konnte nicht weiter; er mußte stille stehen und sich aufseinen
Stab stützen. Das kam ihm vor, wie ein Wunder, und das
war es auch; denn als er sich nach dem Knäbchen umsah,
da war dies glänzend und von lichten Gewändern umflossen.
„Fürchte dich nicht, Christoph!" sprach es, „dir ist Heil
widerfahren; du hast heute den Gottessohn getragen." Mit
diesen Worten war das Knäblein verschwunden. Als aber
Christoph an das Land kam, fand er einen christlichen Mann,
der ihm erklärte, welcher großen Gnade er gewürdigt worden
sei und was er thun müsse, um ein rechter Verehrer Christi
zu werden. Da legte Christoph sein Heidentum ab, ließ
sich taufen und wurde ein heiliger Mann. Sein Geschäft,
die Reisenden zu tragen, setzte er aber gewissenhaft fort bis
an seinen Tod.
196. Sankt Augustin.
Es ging einmal Sankt Augustin
Am Meeresgestade her und hin.
Das Wesen Gottes, unsers Herrn,
Wollt’ er erforschen gar zu gern
Und es dann bringen in ein Buch.
Er kannte jeden Bibelspruch;
Drum schien die Sach’ ihm gar nicht schwer.
So wallt’ er sinnend hin und her
Und meint’ wohl schon in eitlem Wahn
Ihm sei der Himmel aus gethan.
Auf einmal ward sein Aug’ gewahr
Ein Knäblein, schön und wunderbar;
Es macht ein Grüblein in den Sand
Und bückt sich dann hinab am Strand
Und schöpft am Meer das Wasser drein
Mit einer Muschel, weiss und fein.