48. Herzog Leopold von Braunschweig. 48. DaS Samenkorn.
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48. Herzog Leopold von Braunschwcig.
Im Frühjahr 1785 trat die Oder bet Frankfurt aus ihren Ufern
und überschwemmte und verwüstete alles weit und breit. Damals lag
der Prinz Leopold von Braunschweig mit seinem Regimenté in der
Stadt. Er befahl seinen Leuten, Hand anzulegen und einen Damm,
welcher das Wasser aufhielt, zu durchbrechen. Ja, er selbst arbeitete
dabei, daß ihm der Schweiß auf dem Angestchte stand. Er ließ Kähne
abgehen, um die Bedrängten zu retten. Auch er selbst wollte ein
solches Fahrzeug besteigen. Davon wurde er aber, weil eben die Flut
den Damm durchbrach, von den Seinigen zurückgehalten. Die Wogen
schäumten hoch. Die Bogen der Brücke stürzten ein. Häuser wurden
weggerissen, Bäume entwurzelt. Jammer und Heulen, Wehklagen und
Verzweiflung herrschten überall. Der Prinz hatte sich wieder auf sein
Zimmer begeben. Denn es war seinem edlen Herzen unerträglich, die
Not zu sehen und nicht helfen zu können. Da stürzte eine Frau in
sein Zimmer. Flehend bat ste, daß er einen Kahn für ihre Kinder
schaffen möchte. Leopold wußte nicht zu helfen; aber er eilte hin.
O Himmel, welch ein Anblick! Hier schwamm eine Hütte mit ihren
Bewohnern fort. Dort rang ein Sterbender mit der alles verschlin¬
genden Flut. Da reckte ein Greis die Arme um Hilfe aus den
Wellen empor. Bis zum Himmel erschallte das Jammergeschrei. Das
Winseln der Fliehenden mischte sich in das Tosen der Wogen. Überall
Not, überall Verderben und Untergang! Und der Prinz steht's mit
Schaudern. „Will denn," ruft er, „niemand helfen? So will ich
es denn versuchen! Ich bin ein Mensch wie ste. Ich bin schuldig,
sie zu retten. Ich vertraue Gott!" — Er ruft's und springt in einen
Kahn- Ein alter Schisser ergreift das Ruder. Keiner spricht ein
Wort. Schon sind ste dem Lande nahe, als ein schwimmender Weiden¬
baum den Kahn am Vorderteile faßt, ihn umwirft und den Prinzen
mit dem Schiffer in den Fluten begräbt. Nach einer halben Stunde
war der Schiffer gerettet. Den Prinzen aber sah man nicht wieder.
Mttmar.
49. Das Samenkorn.
Zwei Wanderer zogen gemeinsam über Land. Als sie unterwegs
in einer Herberge ausruhten, erscholl plötzlich das Geläut der Glocken
und ein Geschrei: eine Feucrsbrunst sei in dem Dorfe. Da sprang
der eine Wanderer auf, warf seinen Stab und sein Bündel von sich,
um schnell zu helfen. Der andere aber hielt ihn zurück und sprach: