Full text: Lesebuch für die Mittel- und Oberstufe (Teil 2, [Schülerband])

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14. Ein Besuch der deutschen Kaiserstod: Berlin. 
Von dem hohen Fahrdamm aus, welcher meist aus starken Mauern 
besteht, hat man einen hübschen Blick in die Straßen hinein, über die 
man fährt, und in denen ein reges Leben herrscht. 
Berlin ist die größte Stadt Deutschlands. Unter den Städten 
Europas wird sie nur von London und Paris übertroffen. 
In Berlin wohnen mehr Leute, als in der ganzen Provinz 
Schleswig-Holstein. Die Großherzogtümer Mecklenburg- 
Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und Sachsen-Weimar haben 
zusammen nicht mehr Einwohner als Berlin. Man braucht daher viel 
Zeit, um von einem Ende der Stadt zum anderen oder auch nur von 
einem Stadtteile in den andern zu kommen. Ist doch eine einzige 
Straße, die Friedrichsstraße, allein fast eine Stunde lang. Wer es 
daher irgend möglich machen kann, der fährt, wenn er einen weiteren 
Weg zurückzulegen hat. Das thun viele aus Bequemlichkeit, aber 
noch mehr, um Zeit zu sparen. Denn Zeit ist auch Geld, und man 
kann in Berlin recht billig fahren. Wer nicht eine Droschke mieten 
will, der setzt sich in einen Omnibus, d. h. in einen Wagen für jeder¬ 
mann, der 10 oder 20 Pf. bezahlen kann. Schneller und ebenso 
billig fährt man in den Wagen der Pferdebahn. Sie gehen wie die 
sonstigen Eisenbahnwagen auf Schienen, werden aber von Pferden ge¬ 
zogen. Neben diesen Wagen fahren schnell und leicht die zahlreichen 
herrschaftlichen Kutschen mit schmucken Rossen daher. Langsam bewegen 
sich in der Regel die Last- und Frachtwagen vorwärts. 
Bei diesem Durcheinander heißt es aufpaffen, damit man nicht 
unter die Räder oder Roßhufe kommt. Wer sich auf den breiten 
Steinplatten hält, welche für die Fußgänger an den Häusern entlang 
gelegt find, der ist gegen Überfahren gesichert und kann die Sehens¬ 
würdigkeiten, welche in den Kaufläden ausgestellt sind, nach Belieben 
betrachten. Bequem genug ist es gemacht. Die Läden sind nach der 
Straße hin mit großen Spiegelscheiben versehen. Hinter diesen liegen 
die Waren ausgebreitet, die in dem Geschäfte zu haben sind. In 
solchen Schaufenstern hat der Gold- und Silberarbeiter seine künstlich 
gefertigten Geräte und kostbaren Schmucksachcn mit Diamanten und 
sonstigen Edelsteinen ausgelegt. Ebenso find Kleider für Damen oder 
Herren geschmackvoll ausgestellt und laden zum Kaufen ein. Andere 
Geschäfte bieten in größter Auswahl allerlei Nützliches für das Haus, 
z. B. Tapeten, Porzellan, Möbel u. s. w. Besonders laden die 
Schaufenster, hinter denen Zuckerwerk und Kuchen ausgeboten werden, 
zum Beschauen und Genießen ein; nicht minder die Läden, in denen 
Südfrüchte, Haufen von Apfelsinen, Datteln und Feigen feilgehalten 
werden. Das alles ist so zierlich geordnet, daß es den Appetit doppelt 
reizt. Doch sehr lange bei diesen Herrlichkeiten zu verweilen, ist nicht 
tätlich. Ab und zu mahnt ein Rippenstoß der Vorübereilenden ans 
Weitergehen. — Da treten wir plötzlich in eine Straße, welche schöner 
und breiter als alle anderen ist. Vier Reihen Linden und Kastanien 
üehen sich in der Mitte derselben hin und lassen immer noch auf jeder
	        
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