Kulturgeschichtliches.
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Kulturgeschichtliches.
335. Politischer Ueberblick. Auf die Kriege, in welchen sich Rom die
Weltherrschaft errang, folgte eine Zeit des schnellen geistigen Fortschrittes, aber
auch der wachsenden nationalen und religiös-sittlichen Entartung.
Die äussern Erfolge sind enge verknüpft mit wenigen Männern. Marius,
Sulla, Pompejus, die bedeutendsten unter diesen, waren grösser auf dem Schlacht¬
felde als in der Politik. In dieser springt das Schwanken des Uebergewichts
der Volks- und der Optimatenpartei am meisten in die Augen. Nach dem Tode der
Gracchen jubelten die Optimaten. Der Yolksfreund Marius und der Optimat
Sulla verschafften sich und ihren Anhängern abwechselnd die Herrschaft, Pom¬
pejus schwankte von einer Partei zur ändern. Aber seitdem die Gracchen ihren
uneigennützigen Versuch, die Volkspartei zu heben und damit den Staat zu re-
generiren, mit dem Tode bezahlten, hatte nur noch Drusus die Absicht und das
Verständniss, die Schäden des römischen Staates von der Wurzel aus zu ver¬
bessern. Die Ändern wollten nur ihren Interessen oder denen ihrer Partei dienen.
Die Zeitverhältnisse aber waren stärker, als der Wille der Einzelnen oder der
Parteien.
Alle beförderten unbewusst die Ausgleichung der verschiedenen Interessen
in Rom und in Italien. Darin beruht die Entwicklung des Staates. Caesars
gewaltiger Geist übernahm und beendete die Ordnung, indem er die Alleinherr¬
schaft, wohin seit einem Jahrhunderte Alles drängte, einrichtete, ohne die For¬
men der beliebten Republik zu zerstören. Er unterlag dem Dolche der Männer,
welche sie nicht aufgeben wollten, ohne sie erhalten zu können. In noch mehr als
zehnjährigem Bürgerkriege wurden die letzten Republikaner ausgerottet und nach
demselben die Einrichtungen Caesars mit grösserer Schlauheit und Vorsicht von
Octavian wiederhergestellt.
Nicht die Frage ist ins Auge zu fassen, ob die Abschaffung der Republik
für Rom heilsam oder verderblich gewesen ist, sondern die Thatsache, dass das
Kaiserthum ebenso lange in Rom bestanden hat wie die Republik, und dass
wenigstens in den beiden ersten Jahrhunderten unter ihm die Welt sich eines
bis dahin unbekannten Friedens erfreute.
Auf die Auflösung der republikanischen Staatsformen, welcher die der re¬
publikanischen Tugenden vorausging, folgte das Kaiserthum und der Weltfriede.
Mit dessen Anfang fällt die Blüte der römischen Kunst und Wissenschaft zu¬
sammen, aber auch grosses Verderbniss der Sittlichkeit.
336. Die hellenistische Bildung. Die Bildung wurde eine mehr einheit¬
liche und gelangte aus verschiedenen Gründen in Rom zu kräftiger Nachblüte.
Die hellenistische Kultur nahm in ihrer Bedeutung etwa seit der Zeit der Grac¬
chen ab. Neu begründet wurden um 160 durch Aristides aus Milet die
Novelle und der Roman. Sie sind auch vielfach ins Lateinische übersetzt,
aber nicht erhalten.
Es lebten noch unter Augustus vier der bedeutendsten Männer der Wissen¬
schaft: der Geograph Strabo, der Geschichtschreiber Diodor, der
Archaeologe Dionysius von Halicarnass und der Grammatiker Di-
dymus, der fruchtbarste Schriftsteller des ganzen Alterthums, der nicht weniger
als 3500 Schriften verfasst hat. Ohne gerade wissenschaftliche Forscher zu sein,
sind diese Männer durch ihren Fleiss achtungswerth, ihre Sammelwerke vielfach
benutzt und in den Ueberresten noch von unschätzbarem Werthe.
337. Die Dichtkunst in Rom. In Rom sammelten sich nicht nur die Ge¬
lehrten und Dichter des neugeschaffenen Weltreiches, sondern es entstand auch,
nachdem lange das Griechische Hauptbildungsmittel gewesen war, unter Augustus
die Blüte der römischen Litteratur. Das nichteingebürgerte Drama verschwand.
Mit A orliebe wurde das Lehrgedicht bearbeitet. T. Lucretius Car us besang
den Ursprung und die Erhaltung der Welt nach der Lehre Epicurs mit Geschick
und Lebendigkeit in seinem Gedicht „De rerum natura“, Vergil die Arbeit des
Landmannes in seinen „Georgica“. Ovid lehrte die Liebe in drei Gedichten,