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93. Der Postillon.
1. Lieblich war die Maiennacht,
Silberwölklein flogen,
ob der holden Fruhlingspracht
freudig hingezogen.
2. Schlummernd lagen Wies' und
jeder Pfad verlassen; Hain,
niemand als der Mondenschein
wachte auf den Straßen.
3. Leise nur das Lüftchen sprach,
und es zog gelinder
durch das stille Schlafgemach
all der Frühlingskinder.
4. Heimlich nur das Bächlein schlich,
denn der Blüten Träume
dufteten gar wonniglich
durch die stillen Raͤume.
5. Rauher war mein Postillon,
ließ die Geißel knallen,
über Berg und Thal davon
frisch sein Horn erschallen.
6. Und von flinken Rossen vier
scholl der Hufe Schlagen,
die durchs blühende Revier
trabten mit Behagen.
7. Wald und Flur im schnellen Zug
kaum gegrüßt — gemieden,
und vorbei wie Traumesflug
schwand der Dörfer Frieden.
8. Mitten in dem Maienglück
lag ein Kirchhof innen,
der den raschen Wanderblick
hielt zu ernstem Sinnen.
9. Hingelehnt an Bergesrand
war die bleiche Mauer,
und das Kreuzbild Gottes stand
hoch, in stummer Trauer.
10. Schwager ritt auf seiner Bahn
stiller jetzt und trüber,
und die Rosse hielt er an,
sah zum Kreuz hinüber:
11. „Halten muß hier Roß und Rad,
mag's euch nicht gefährden;
drüben liegt mein Kamerad
in der kühlen Erden!
12. Ein gar herzlieber Gesell!
derr 's ist ewig schade!
einer blies das Horn so hell
wie mein Kamerade!
13. Hier ich immer halten muß,
dem dort unterm Rasen
zum getreuen Brudergruß
sein Leiblied zu blasen!“
14. Und dem Kirchhof sandt' er zu
frohe Wandersänge,
daß es in die Grabesruh
seinem Bruder dränge.
15. Und des Hornes heller Ton
klang vom Berge wieder,
ob der tote Postillon
stimmt' in seine Lieder. —
16. Weiter ging's durch Feld und
mit verhängtem Zügel; [Hag
lang mir noch im Ohre lag
jener Klang vom Hügel.
Anastasius Grün
Anton Alexander Graf von Auersperg), geb. 1806 zu Laibach in Krain — studierte
in Wien und Graz — machte Reisen in Italien, Frankreich und England — lebte
später teils in Wien, teils auf seinem Erbschloß in Krain — und harb 1876 in
Graz. Gehört zu den besten Lyrikern des 19. Jahrhunderts. — VII. Teil. »Die
Martinswand. S. 90.