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Strome. An den Ufern flammen blaue Leuchtfeuer. Raketen-
garben steigen zischend empor und aus der Stadt von Zelten
rundum ertönt rauschende Musik. Endlich wird beim Morgen-—
grauen der Hauptdamm durchstochen. Unmittelbar vor der
Stelle, wo dieses geschieht, hat man eine Tonsaule im Hlusse er-
richtet und mit Blumen und Ahren bekränzt. Diese Säule heibt
„die Braut““. In grauer heidnischer Zeit soll es Sitte gewesen sein,
eine geschmückte Junglrau, meist eine Sklavin, zum Danke fũr
die gespendete Fruchtbarkeit als Opfer den Wellen des Flusses
zu ũübergeben. Die Stelle dieser Nilbraut vertritt nun die ge—
schmũckte Saule. Wenn der Pascha und die Beamten eingetroffen
sind, läbt man ein geschmücktes Boot mit Gewalt gegen den
schon gelockerten Damm rennen, der dem Stobe weicht, und unter
dem vieltausendfachen Rufe: Der Strom kommt! schwankt
das Schiff auf den mitströmenden Wogen in den Kanal. Ihm
nach steuern hundert andere Kähne. Der Kadi aber fertigt über
die Höhe, welehe der Flub erreichte, eine Urkunde aus, nach
welcher die Regierung den zu erhebenden Tribut bestimmt.
Sobald sich das Wasser zurückzieht, streuen die Fellahs den
Samen in den mit fettem Schlamme bedeckten Boden und rasch
und üppig entwickelt sich das Wachstum. Bald ist das ganze
Niltal ein wogendes Meer von grünen Saaten und goldenen Ahren.
Der Nil regte dureh seine regelmäbigen, befruchtenden Uber-
schwemmungen den Bodenbau an, diese Grundlage aller höheren
Kultur. Er führte die Agypter zur Kalenderbestimmung und
Sternkunde, zur Feldmebkunst, zum Wasserbau und zur Bau—
kunst überhaupt.
Wie viel auch seitdem in diesem altesten Kulturlande von der
Herrlichkeit vergangener Zeiten verschwunden ist, der segen-
spendende Strom ist derselbe geblieben; noch immer, wie vor Jahr-
tausenden, nennt ihn der Agypter mit Recht den „Vater Nil—
und den „heiligen Strom“.
80. Wũüstenreiso.
Der Morgen bricht über die Wüste heran. Die Karawane
schreitet in langem Zuge dahin und fördert ihre Schritte nach
dem einförmigen Ton der Pfeife. Die Kamele sind mit Ballen
beladen und mit Tüchern bedeckt. Auf ihnen sitzen die Mauren
jn bunten Turbanen und Mänteln, mit Doleh und Säbel bewaffnet.