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Kurz vor seiner Abreise ging der Diehter in Begleitung
Streichers und einer befreundeten Dame, der Gattin des Theater-
regisseurs Meier in Mannheim, nach der Solitude um Abschied
von Eltern und Geschwistern zu nehmen. Wie schwer ist dieser
ihm geworden und wie meisterhaft zeichnet der treue Freund das
Bild des scheidenden Sohnes und Bruders! Hören wir ihn selbst!
Beim Eintritte in die Wohnung von Schillers Eltern waren
nur die Mutter und die älteste Schwester gegenwärtig. So freund-
lich auch die Hausfrau die Fremden empfing, so war es ihr doch
nicht möglich siech so zu bemeistern, dab Streicher die Unruhe
nicht aufgefallen wäre, mit der sie ihn anblickte und oft zu reden
versuchte ohne ein Wort hervorbringen zu können. Glücklicher-
weise trat bald der Vater ein, der dureh Aufzählung der Festlich-
keitèn, welehe auf der Solitude gehalten werden sollten, die Auf-
merksamkeit so ganz an sich zog, dab sich der Sohn unvermerkt
mit der Mutter entfernen und seine Freunde der Unterhaltung mit
dem Vater überlassen konnte.
Nach einer Stunde kehrte Schiller zur Gesellschaft zurück,
aber — ohne seine Mutter. Wie hätte sie sich zeigen können!
Konnte und durfte sie auch den geplanten Schritt als eine Not-
wehr ansehen, dureh die er sein Dichtertalent, sein künftiges
Glück sichern und vielleicht einer unverschuldeten Einkerkerung
vorbeugen wollte, so mubte es ihr doch das Herz zermalmen ihren
einzigen Sohn auf immer verlièren zu müssen und zwar aus Ur-
sachen, die so unbedeutend waren, dab sie naoh den damaligen
Ansichten in jedem andern Staate ohne besondere Folgen ge-
blieben wären. Und dieser Sohn, in welchem sie beinahe ihr ganzes
Selbst erblickte, der schon an der mütterlichen Brust die sanfte
Gemuũtsart, die milde Denkweise eingesogen zu haben schien, er
hatte ihr von jeher nichts als Freude gewährt; sie sah ihn mit
all den Eigenschaften begabt, die sie so oft, so inbrünstig von
der Gottheit für ihn erfleht hatte. Und nun?
Wie schmerzhaft das Lebewohl von beiden ausgesprochen
sein mubte, ersan man an den Gesichtszügen des Sohnes sowie
an seinen feuehten, geröteten Augen. Er suchte diese einem ge—
wöhnlichen, ihn oft befallenden Ubel zuzuschreiben und konnte
erst auf dem Wege nach Stuttgart dureh die zerstreuenden Ge-
spräche der Gesellschaft wieder zu einiger Munterkeit gelangen.
Der festgesetzte Tag brach endlich an. Der treue Streicher
war damit beschäftigt die Habseligkeiten des Freundes nach seiner