Object: Lehrbuch der Weltgeschichte

Die dramatische Poesie. 
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in demselben Maße dem Drama zugewendet, wie die Nitterdichtung dem Epos. 
Die Anfänge unsers Schauspiels sind in der kirchlichen Liturgie zu suchen. Die um 
Ostern von verschiedenen Personen mit Gesang vorgetragene Leidensgeschichte Jesu 
führte leicht auf den Gedanken, Action und Dialog damit zu verbinden. Bald 
wurden solche Darstellungen (Mysterien) auch an den übrigen Festtagen aufgeführt 
und sowohl durch Einschaltungen anderer biblischer Geschichten als durch Beifügung 
redender und erzählender Personen und Luftigmacher (Joculatoren) erweitert 
und belebt. Die letztern führten in der heitern Fastnachtzeit komische Zwischenscc- 
nen auf und bildeten so einen Gegensatz gegen den Ernst der Ostcrfeicr. Mit der 
Zeit wurden diese Mysterien aus der Kirche auf den Markt und ins öffentliche Le¬ 
ben eingeführt und zum Ergötzen des schaulustigen Volks allerlei Possen und Mum¬ 
mereien hinzugefügt. 
§. 40. b. Das Fastnachtsspiel. Dies erleichterte im 15. Jahrh., als man 
besonders auf Befriedigung der Lachlust des Volks ausging, die Lostrennung des 
komischen und spaßhaften Theils der Mysterien, als Fastnachtsspiel, von dem ernsten. 
Zur Zeit des Carnevale, wo sich von jeher das Volk dem Scherz und der Laune 
überließ, sammelten sich einige muthwillige Leute in der Wohnung irgend eines frei¬ 
gebigen Bekannten und setzten durch allerlei Mummereien, derbe Scherze, handgreif¬ 
liche Späße und lustige Einfälle denselben in so gute Laune, daß er sie mit einer- 
gastlichen Bewirthung belohnte. Als Bühne dienten einige über Bänke gelegte 
Bretter. Was anfangs nur Erguß augenblicklicher Laune (Improvisation) war, 
wurde später nach einem gewissen Plan angelegt und in Dialoge gebracht, wobei 
Jahrmarktsscenen, Prozesse, Ehezwiste u. dergl., in denen sich derbe Witze und An¬ 
spielungen anbringen ließen, den Hauptinhalt bildeten. Solche Fastnachtsspiele wa¬ 
ren besonders in Nürnberg üblich, wo im 15. Jahrh, die Meistersänger Hans 
Folz und Rosenplüt eine Reihe solcher Farcen dichteten. Im Reformations¬ 
jahrhundert nahm dasselbe einen polemischen Charakter gegen den Papst und die 
römische Kirche an, in welcher Haltung besonders der Berner Maler Nie. M a-Manuel, 
nuel (fl530 ) ausgezeichnet ist. (Seine „sterbende Beichte" ist ein muth- 
williges Spiel voll Witz und Spott in der Volksmanier). Auch Hans Sachs 
und Jac. Ayrer dichteten solche volksthümliche Fastnachtsspiele. 
8. 41. c. Die deutsche Volkskomödie. Im Laufe des 16. Jahrh, bil¬ 
dete sich durch den Einfluß des antiken Drama's das regelmäßige Schauspiel in 
Deutschland aus. Dies geschah I) dadurch, daß die Zöglinge humanistischer Lehran¬ 
stalten zur Einübung der lateinischen Sprache Stücke von Plautus und Terentius 
aufführten und zum bessern Verständniß deutsche Einleitungen und Einschaltungen bei¬ 
fügten, bis sie zuletzt die gelehrte Sprache ganz aufgaben und so die Verlegung des 
Schauspiels aus der Schule unter das Volk herbeiführten; 2) dadurch, daß die 
antiken Dramen übersetzt und Jedermann zugänglich gemacht wurden; und endlich 
3) dadurch, daß einige Humanisten, wie Celtes und Reuchlin, einheimische 
volksmäßige, oder auch religiöse Stoffe in der gebildeten Sprache und Form des 
Terenz bearbeiteten und zur Vorstellung brachten (wie denn bereits im I. 1198 zu 
Heidelberg im Hause des berühmten Dalberg eine solche regelrechte, von Reuchlin 
bearbeitete lat. Komödie aufgeführt ward). 
Solche lat. Stücke (unterdenen sich die des Würtembergcr Frisch lein (1- 1590) durch Reiz der 
Erfindung und Witz auszeichnen) wurden dann behufs der Aufführung übersetzt, was endlich die Ge- 
Weber, Geschichte. 52
	        
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