Full text: Das Vaterland (Teil 3, [Schülerband])

warfen ihn freilich ziemlich hart hin, aber ein Diener schleppte ihn so— 
gleich nach der Treppe, wo es hell war. 
„Nun beginnt das Leben wieder!“ dachte der Baum; er fühlte die 
frische Luft, den ersten Sonnenstrahl, — und nun war er draußen auf 
dem Hofe. Alles ging so geschwind. Der Baum vergaß ganz, auf sich 
selbst zu sehen; es war so viel um ihn herum. Der Hof stieß an einen 
Garten, alles blühte darin; die Rosen hingen so frisch und duftend über 
das kleine Geländer, die Lindenbäume blühten, die Schwalben flogen und 
sagten: „Quirre-wirrewit, mein Mann ist gekommen“, aber es war nicht 
der Tannenbaum, den sie meinten. 
2. „Nun soll ich leben!“ jubelte er und breitete seine Zweige weit 
aus; ach, sie waren alle verwelkt und vergilbt. Im Winkel war's, 
zwischen Unkraut und Nesseln, wo er lag. Der Goldpapierstern saß noch 
oben im Gipfel und schimmerte im klaren Sonnenschein. Im Hofe selbst 
spielten ein paar der lustigen Kinder, die zu Weihnachten um den Baum 
getanzt hatten und über ihn so froh gewesen waren. Eins der kleinsten 
eilte hin und riß den Goldstern ab. 
„Sieh, was dort noch auf dem häßlichen alten Weihnachtsbaume 
sitzt!“ sagte der Knabe und trat auf die Zweige, so daß sie unter seinen 
Stiefeln krachten. 
Und der Baum sah auf all die Blumenpracht im Garten. Er sah 
auf sich selbst und wünschte, daß er in seinem finstern Winkel auf dem 
Boden geblieben wäre. Er dachte an seine frische Jugend im Wald 
und an den lustigen Weihnachtsabend. 
„Vorbei! vorbeil“ sagte der arme Baum. „Hätte ich mich doch 
gefreut, als ich es konnte!l Vorbei! vorbei!⸗ 
3. Der Knecht zerhieb den Baum in kleine Stücke, ein ganzer 
Haufen lag dort; herrlich flammte das Holz unter dem großen Brau— 
kessel, und es seufzte so tief, jeder Seufzer war ein kleiner Schuß. Des⸗ 
halb liefen die spielenden Kinder hinein, setzten sich vors Feuer, sahen 
hinein und riefen: „Piff! paff!“ Aber bei jedem Knall, der ein Seufzer 
war, dachte der Baum an einen Sommertag im Walde, an eine Winter— 
nacht draußen, wenn die Sterne funkelten; er dachte an den Weihnachts— 
abend — und nun war der Baum verbrannt. 
Die Knaben spielten im Hofe, und der kleinste trug den Goldstern 
auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen 
hatte. Der war vorbei, und mit dem Baume war es vorbei und mit 
der Geschichte auch; vorbei, vorbei, und so geht es mit allen Geschichten! 
Hans Christian Audersen.
	        
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