130. Die deutsche llordpolar- Expedition.
195
in einen .undurchdringlichen Knäuel, alles knurrt, bellt, beißt, wütet durch ein¬
ander, und nicht einmal die mit Macht geschwungene Peitsche des Schlittenführers
bringt Ordnung in den Haufen. Endlich hat sich der Hundeballen so arg ver¬
wirrt, daß an leine freie Bewegung mehr zu denken ist, und nun hat der Eskimo
seine liebe Not, die Tiere wieder zu entwirren und von neuem einzuspannen.
Dann geht die Fuhre weiter, und die Peitsche wird etwas öfter gebraucht.
Ohne dieses Haustier würden die Eskimos gar nicht bestehen können. Die
Hunde leisten ihnen alle nur möglichen Dienste. Mit einer Bürde von 30 Pfund
beladen, begleiten sie ihren Herrn, wenn sie zu ihren langdauernden Jagden
ausziehen. Ihrer sechs bis acht ziehen einen Schlitten, welcher mit fünf bis sechs
Personen oder einem Gewicht von 600 bis 800 Pfund besetzt ist, acht bis zehn
Äeilen weit in einem Tage. Nach langer Ruhe und guter Fütterung vor einen
Schlitten gespannt, sind sie kaum zu zügeln und durchlaufen auf ebener Bahn
wehr als zwei geographische Meilen in einer Stunde. Spüren sie ein Renntier
unterwegs, so laufen sie wie rasend in der Richtung desselben und ruhen nicht
eher, als bis sie den Jäger schußgerecht an das Wild gebracht haben. Außerdem
helfen sie bei der Seehund-, Bären- und Otternjagd, halten Wache, verteidigen
ihren Herrn in Gefahr und leisten noch hundert andere Dienste. Und gleichwohl
fühlen die Eskimos nicht die geringste Liebe zu ihnen, sondern betrachten sie
höchstens als belebte Maschinen, welche einzig und allein zu dem Zwecke geschaffen
worden sind, ihnen Dienste zu leisten. Aus diesem Grunde sind sie auch die
unnachsichtigsten und grausamsten Herren, welche die armen Tiere geradezu regel¬
recht quälen, sie Hunger und Durst leiden laffen und mehr durch diese Lieblosig¬
keit, als durch Unwissenheit und Schmutz sich als wahre Wilde zu erkennen geben.
Brehm.
130. Die deutsche Nordpolar-Expedition.
15. Juni 1869 — 11. Sept. 1870.
achdem namentlich von den Engländern schon häufige Versuche gemacht waren,
-fl die Natur des Nordpolar-Kreises wissenschaftlich zu erforschen/faßte ein
einfacher deutscher Gelehrter, vr. Petermann in Gotha, den kühnen und gro߬
artigen Plan, durch freiwillige Beiträge des deutschen Volkes die zur Ausrüstung
einer umfassenden Nordpolar - Expedition nötigen Gelder zusammenzubringen. Er
verstand es, die allgemeine Teilnahme für das Unternehmen zu erwecken; mit
Ausdauer und Umsicht traf er alle nötigen Vorbereitungen, und so waren wirk-
kich im Frühjahr 1869 zwei Schiffe unter der Führung des Kapitäns Kolde-
wey bereit, die Fahrt in das unwirtliche und unbekannte nördliche Eismeer
anzutreten. Das Hauptschiff, die Germania, war ein äußerst stark und fest
bebauter Dampfer; das Segelschiff Hansa sollte namentlich die für den Bedarf
bes Dampfbootes nötigen Steinkohlen, soweit jenes sie nicht selbst fassen konnte,
schleppen. Außer der nötigen Bemannung befand sich auf beiden Fahrzeugen
eine Anzahl von jungen deutschen Gelehrten, die, um für die WisMschaft neue
Resultate zu gewinnen, keine Beschwerden und Gefahren scheuten. Die Haupt¬
aufgabe der Expedition war, die Küste von Ost-Grönland zu erforschen, im
^ise an einer vor Stürmen möglichst geschützten Stelle zu überwintern und dann
iw Frühjahr, sobald die Witterung es erlaube, auf Schlitten soweit wie möglich
13*