Full text: [Teil 2 = Für obere Klassen] (Teil 2 = Für obere Klassen)

183, Die treue Gudrun. 
273 
freilich nur selten gestattet war, sieh ihr zu nahen, fühlte und zeigte sie 
^arme Dankbarkeit. 
Im siebenten Jahre kehrte endlich Hartmut aus der Fremde zurück; 
er hoffte Gudrun jetzt zur Vermählung willig zu finden, aber ihre Treue 
^ar unwandelbar. Seiner Mutter machte er schwere Vorwürfe über ihre 
Härte gegen die Jungfrau; jene versprach, sie wolle hinfort es. anders 
Aachen, aber kaum hatte Hartmut sich abermals auf Seeabenteuer hinaus¬ 
heben, so begannen auch die Misshandlungen schlimmer als jemals.- Die 
friesische Königstochter musste jetzt täglich Gerlindens Kammer auskehren 
rraä im Winter die Öfen darin heizen, wobei es nicht an den schlimmsten 
Hcheltworten fehlte. Auf Augenblicke mochte Gudrun wohl verzagen und alle 
Hoffmmg auf Befreiung aufgeben; aber wenn sie sich an der Brust ihrer 
freuen Hildburg ausgeweint und ein Gebet zum Himmel emporgesandt hatte, 
dann kam ihr wieder Ruhe und Heiterkeit der Seele. Ohne Murren that 
Sle alles, das man sie hiess, aber ihr Herz war bei den Lieben daheim. 
So vergingen wieder Jahre. Da kehrte Hartmut gegen den siebenten 
hinter abermals zurück, nunmehr fest entschlossen, auf alle Fälle Gudrun 
zn seiner Gemahlin zu machen. Er ging in ihre Kammer und stellte ihr 
Hie Herrlichkeit vor, die sie als Königin des Landes zu erwarten habe; 
aber mit Hoheit erwiderte sie: „Ihr wisst, dass Euer Vater Ludwig meinen 
^ater erschlug; wie könnte denn zwischen uns Freundschaft sein?“ AIs 
6Hdlich alle seine Überredungskunst sich unnütz erwies, wandte er sich 
311 seine Schwester Ortrun und bat sie, ihre Freundin zur Nachgiebigkeit 
bewegen. Freudig erwiderte jene: „0 wie gern will ich ihr dienen! 
^ein Haupt will ich ihr neigen, dass sie wo möglich ihres Leides vergesse. “ 
ward Gudrun zu Ortrun geführt und wieder fürstlich gehalten, aber 
auch die holde Güte des einzigen Wesens im Normannenlande, dem sie 
herzlich zugethan war, vermochte nicht sie wankend zu machen; ihr Schluss¬ 
wort auf alle Mahnungen der Freundin blieb immer: „Einem König bin 
l°fr längst mit festen Eiden zum ehelichen Weibe verlobt und zugesagt; 
ohe er gestorben ist, werd’ ich nie einem andern angehören.“ Da also 
^Jch der Aufenthalt bei Ortrun, obgleich er viele Wochen dauerte, keine 
Änderung in ihren Entschlüssen hervorbrachte, gab endlich Hartmut 
'h.willig und verdrossen seine Versuche, sie durch Güte zu bewegen, auf 
j^d überliess sie wieder seiner Mutter. Da begannen denn die Milshand- 
hiugen wieder schlimmer, als zuvor. Gudrun musste am Meeresstrande im 
Wehesten Wetter Gerlindens Kleider waschen; aber auch diese äusserste 
Demütigung ertrug sie, um ihrem Herwig treu zu bleiben. Freilich 
6rweckte die Verzweiflung in ihr bisweilen harten Trotz, sodass sie sprach: 
»Ich soll einmal nicht glücklich sein, so wollte ich denn, ihr behandeltet 
Hieb- noch schlechter;“ aber einen Trost hatte sie doch an der treuen 
Hildburg, die durch vieles Bitten die Erlaubnis erlangte, täglich Gudrun 
311 den Meeresstrand zu begleiten. 
V 6. Wie die Friesen ausführen, um Gudrun zu befreien. 
, "Wenn die Not am grössten, ist die Hilfe am nächsten. Im Friesen- 
fnde -wuchs unterdessen ein neues Geschlecht heran, und Königin Hilde, 
Deutsches Lesebuch. II. d8
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.