Full text: Lesebuch für Mittelklassen deutscher Volksschulen (2, [Schülerband])

VA Die Stadt und ihre Bewohner. 
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die ersten Anfälle; aber ohne daß diese zu einem allzuheftigen 
Ausbruche kamen, gab sie, von allen edlen Menschen bewundert 
und beweint, ihren Geist auf. 
93. Der arme Mann. 
Nimm's, armer Mann, und danke nicht! Du durftest es 
wohl nehmen; dein schlechtes Kleid, dein bleich Gesicht, die 
r am Beschämen! Gewiß, ich wurde roth wie 
luth, als ich mit halbem Blicke auf mich sah, auf mein 
frisches Blut, und dann — auf deine Krücke. Du hast so 
benlg, armer Mann; und, was dir ward, ist Leiden. O, sieh 
mich noch ein Weilchen an; ich kann von dir nicht scheiden. 
Dein Auge hat wohl viel geweint und viel gewacht, du Lieber! 
d deine Surne, wie es scheint, wird alle Tage trüber. 
Der Vocken sind ja wenig mehr und werden fallen müssen. 
Ah, armer Mann, du zitterst sehr an Händen und an Füßen. 
alle Wimer nahet sich mit Schnee und vielen Schrecken; 
da ist kein Pelz, kein Bett für dich, dich armen Mann zu 
decken. Da ist für dich kein warmer Herd, die krumme Hand 
zu laben, und bist plelleicht im Innern werth, ein goldnes 
Haus zu haben. O Gott! wie wird mir's im Gesicht? Wie 
ird mir, daß ich bebe? — Nimm's, armer Mann, und zürne 
nicht, daß ich so wenig gebe! Chr. Adolph Overbeck 
94. Erzühlung aus dem Morgenlande. 
In der Türkei trieb ein sehr reicher und vornehmer Mann 
einen Armen, der ihn um eine Wohlthat anflehte, mit Schelt⸗ 
orten und Schlägen von sich ab, und als er ihn nicht mehr 
erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Steine. Alle, 
die sahen, verdroß es aber Niemand konnte errathen, 
Parumn da arme Maͤnn den Stein aufhob und, ohne ein 
Wort zu sagen, in die Tasche steckte, und Niemand dachte 
daran, daß er ihn von nun an so bei sich tragen würde. Aber 
das that er wirklich. Nach Jahr und Tag verübte der reiche 
Mann einen schlechten Streich und wurde deswegen nicht nur 
seines Vermögens verlustig soͤndern mußte auch, nach dortiger 
Sitle, zur Schau und Schande, rückwärts auf einen Esel 
gesetzt, durch die Stadt reiten An Spott und Schimpf fehlte 
s icht. Der Mann mit dem räthselhaften Steine in der 
Tasche stand unter den Zuschauern eben auch da und erkannte 
seinen Beleidiger. Jetzt fuhr er schnell mit der Hand in die 
Tasche; jetzt griff er nach dem Sieine; jetzt hob er ihn schon
	        
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