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hause, so ist es dir, als ginge das Vaterhaus überall mit dir; kein
Heimweh kommt in deine Seele und kein Verzagen, kein Wanken und
Schwanken in dem, was Gottes Wille ist. Die Verführung bekommt
dich nicht in ihre Gewalt; Ehre und Gewissen bleiben unbefleckt.
Wilhelm Ortel (von Horn).
194. Die Wichtigkeit der Berufswahl.
Das Arbeitsfeld der Menschheit ist ein überaus großes. Je mannig—
faltiger die Bedürfnisse der in einem Staate lebenden Bürger wurden, je
mächtiger und vielseitiger die Fortschrittsbestrebungen der Kultur sich zeigten,
desto mehr Berufszweige und Berufsarten traten hervor, so daß es jetzt
eine fast unübersehbare Menge derselben giebt. Das immer größer wer—
dende Arbeitsgebiet bedingte die Arbeitsteilung, da der Einzelne der Welt
nicht alles sein kann. Von altersher ist darum nach göttlicher Anordnung
jedem Menschen ein Teil der Arbeit übertragen; jedem ist eine bestimmte
Stelle in der Gesellschaft angewiesen, in welcher er seine Fähigkeiten und
Kenntnisse, überhaupt seine persönliche Tüchtigkeit zu Gunsten des Men—
schenwohles nach seinen Kräften verwerten soll. Dieser Wirkungskreis aber,
in welchem er die ihm vom Schöpfer verliehenen Gaben und Kräfte zur
Geltung bringen soll, ist sein Beruf.
Die Wahl des Berufes gehört unstreitig zu den folgenschwersten Ent⸗
scheidungen eines Jünglings; ja, sie ist die wichtigste Angelegenheit des
ganzen Lebens. Von ihr hängt zum größten Teile das ab, was der Mensch
sein Schicksal zu nennen pflegt, was die Grundlage seiner Entwickelung und
seines Glückes, die Quelle seiner Wohlfahrt, die Gestaltung seines äußeren
und inneren Lebens auf die Dauer seines Daseins bildet.
Darum giebt es wirklich nichts Traurigeres für einen Mann, als seine
Bestimmung für das ganze Leben verfehlt zu haben. In der verfehlten
Berufswahl dürfen wir getrost eine Hauptquelle des viele Menschen beherr—
schenden Mißbehagens, des Mangels an Lebensfreudigkeit und Zufriedenheit
suchen. Schon Friedrich der Große schreibt einmal an Voltaire: „Eine
Hauptquelle des Elends ist diese, daß die Menschen nicht an ihrer rechten
Stelle sind; mancher Prediger würde besser ein Pächter, mancher Staats—
mann ein Stallmeister und mancher Kardinal ein Küster geworden sein.“
Wie wenig vermag der Mensch zu leisten, dem infolge des Mißgriffes
in der Wahl des Berufes die innere Befriedigung, das innere Lebensglück
fehlt. Mit Unlust geht er des Morgens an sein Geschäft; während der
Albeit, die niemals recht gelingen will, schweifen seine Gedanken ab und
richten sich auf die Erlösung und Erholung; er kann kaum die Zeit erwarten,
welche ihn seiner Fesseln entledigt. Ist endlich die Arbeit glücklich abgethan,
so schmeckt doch die Erholung nicht; denn ein unzufriedenes Gemüt kennt
keine wahre Freude und Befriedigung. Alles stört der neidische Hinblick
auf die Glücklichen, welche nach seiner Meinung einen leichteren und lohnen—
deren Beruf erwählt haben und eine angesehenere und sorgenfreiere Stellung
in der menschlichen Gesellschaft einnehmen und der quälende Gedanke im
Innern, daß ein anderer Beruf gewiß mehr Glück und Erfolg geboten