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auf der ganzen Gotteserde, ein gewaltiger, namenloser
Schmerz, und sie ab nicht und trank nicht und weinte
wieder drei Tage und drei Nächte ohne Aufhören und
rief nach ihrem RKinde. Wie sie nun so voll tiefen
Leides in der Nacht an der Stelle sab, wo ihr RKind
gestorben war, tränenmüde und schmerzensmatt bis zur
Olnmacht, da ging leise dieé Tür auf, und die Mutter
schrak zusammen; denn vor ibr stand ibr gestorbenes
Kind. Das war ein seliges Engelein geworden und lächelte
süß wie die Unschuld und schön wie die Verklärung.
Es trug aber in seinen Händchen ein Krüglein, das war
schier übervoll. Und das Kind sprach: „O lieb Mütter-
lein, weine nicht mehr um michl Siehe, in diesem
Krũüglein sind deine Tränen, dié du um mich vergossen
hast; der Engel der Trauer hat sie in dieses Gefäb ge-
sammelt. Wenn du nur noch eine Träne um mich
weinst, so wird das Krüglein überflieben, und ich werde
dann keine Ruhe haben im Grabe und keine Seligkeit im
Himmel. Darum, lieb Mütterlein, weine nicht mehr um
dein Kind; denn dein Kind ist glücklich, und Engel sind
seine Gespielen.“ Damit verschwand das tote Kind, und
die Mutter weinte hinfort keine Träne mehr, um des
Kindes Grabesrube und Himmelsfrieden nicht zu stören.
Ludwig Bechstein.
12. Bei Vater und Mutter.
119. Mein Plützchen.
1. Ich weiß ein hübsches Plätzchen,
wo gar zu gern ich bin;
wie in die Sonn' das Kätzchen
leg' ich zum Schlaf mich hin.
2. Ich hüpf' hinauf, hinunter
mit leichtem, frohem Sinn;
ich such' es, wenn ich munter
und wenn ich traurig bin.