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Wie wildes, fruchtlos starres Biusenrohr
Wächst so Geschlecht hier für Geschlecht empor.
Weit, weit davon predigt die Sonnenpracht:
Ich bin das Licht, das alle glücklich macht.
Diese Armen zu dem Licht zu führen, das alle glücklich
macht — dazu reicht unsere Kraft nicht aus. Aber ihnen eine
Stätte zu erschließen, wo dann und wann ein paar Strahlen dieses
Lichts sie treffen, ihnen in Kinderhorten und Jugendheimen
ein Stück reine, ungetrübte Kinderfröhlichkeit zu verschaffen,
das ist eine Aufgabe, cm die besonders die Frauen und jungen
Mädchen der begüterten Kreise ihre Kraft setzen sollten. Nicht
nur heute, nicht nur morgen, nicht mit dem hastigen Aufnehmen
und Wiederabspringen, das gerade für unser Großstadtleben
so bezeichnend ist, sondern mit der anhaltenden Treue, die hier
allein etwas schaffen kann. Und nicht von oben herab, nicht mit
dem Gefühl der Gönnerin, der Wohltäterin, sondern aus dem
Bewußtsein heraus, daß hier nur ein kleiner, bescheidener Aus¬
gleich gegen soziale Mißstände versucht, daß hier nur eine Ver¬
pflichtung gelöst wird. Aus diesem Gefühl heraus wird erst
das Sichmüheu um die einzelne Kinderseele möglich, der ernste
Versuch, hier zu binden, dort zu befreien und dem kleinen Geist
den inneren Halt zu geben, der ihn: so oft den äußeren ersetzen muß.
Diese stille soziale Arbeit, die keine Zuschauer hat, keine
Bewunderung erregt — sie stellt die Form dar, in der die jungen
Mädchen unserer besser gestellten Kreise an ihrem Teil die Ver¬
pflichtung lösen können, die ihr eigenes behütetes Geschick ihnen
auferlegt hat. Und auch andere Not erheischt unsere Hilfe. Unsre
Zeit, die so viel getan hat, um die Menschen zusammenzubringen,
zu vereinigen, sie hat auch wieder getrennt, hat Einsamkeiten
geschaffen. In unseren Großstädten leben die verschiedenen
Klassen ganz voneinander getrennt, in verschiedenen Stadt¬
vierteln. Keiner kümmert sich um den andern; der Schwache,
der Hilflose ist auf sich selbst angewiesen; und oft genug erführt
niemand von seiner Not. Das Wohltun von Haus zu Haus hat
gegen früher abgenommen, aber an seine Stelle sind die großen
Anstalten getreten: die Krankenhäuser, Blindenanstalten, die