Full text: [Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband])

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Da dankte ihm König Gunther. Nun gebot Siegfried seinen 
Mannen, sich eiligst zu rüsten, und auch Hagen machte sich und 
eine Schar Burgunden fertig zur Heerfahrt. 
Zuvor aber ging Hhagen zu Kriemhild, wie um Abschied 
zu nehmen. Da sprach die Königin: „Ich freue mich, daß ich 
einen Mann habe, der meinen Freunden also helfen kann. Doch 
habe ich Sorge um ihn, weil er gar zu tollkühn ist im Streit.“ 
Darauf sagte Hagen: „Liebe Herrin, ich will gerne Euren Ge— 
mahl behüten. Aber man sagt ja, daß er unverwundbar ist 
am ganzen Leibe.“ „Wohl ist er das,“ sprach die Königin, „seit 
er sich in dem Drachenblut gebadet. Aber, Hagen, du bist mein 
Verwandter und Freund, dir kann ich das Geheimnis anver— 
trauen; — zwischen die Schultern fiel ihm beim Bade ein breites 
Lindenblatt; drum ist er hier verwundbar, und leicht kann ihn 
im Schauer der Speere ein Wurf dahin treffen. Darum, guter 
Hhagen, behüte du meinen lieben Mann im Kampfessturm!“ 
Hhagen antwortete: „Ja, ich will immer ihm zur Hut reiten 
und fechten. Aber, damit ich genau weiß, wo ich ihn behüten 
muß, so näht mir doch ein kleines Zeichen auf sein Gewand.“ 
Kriemhild erwiderte: „Ich will mit feiner Seide heimlich ein 
Kreuz auf sein Gewand nähen; da mußt du ihn schirmen in der 
wilden Schlacht.“ „Ja,“ sprach Hagen, „das will ich gerne tun, 
liebe Herrin. Lebt wohl!“ Und fröhlich ging er von dannen. 
Am nächsten Morgen ritt Siegfried mit den Recken aus zum 
Kampfe. Hagen ritt ganz nahe an ihn heran und spähte nach 
dem Kreuz. Als er es gesehen, schickte er heimlich zwei seiner 
Mannen voraus; die sollten dem Heere entgegenreiten, als seien 
sie Boten Lüdegers an den König Gunther, und Frieden ver— 
kündigen. Ungern ritt Siegfried wieder heim. Da sprach König 
Gunther zu ihm: „Cohn' dir Gott deinen guten Willen; ich will 
dir immer dankbar sein. Nun wir aber der Heerfahrt ledig 
sind, wollen wir morgen mit unseren Gästen über den Rhein 
fahren und im Odenwald jagen.“ Siegfried war gern zur Jagd 
bereit. Diese Jagd aber hatte Hagen dem König geraten und 
ihm auch gesagt, auf welche Art er dabei Siegfried verderben 
wollte. 
Alles ward zur Jagd gerüstet. Da ging Siegfried am 
frühen Morgen zu Kriemhild, um ihr Lebewohl zu sagen. „Auf 
fröhliches Wiedersehen!“ sagte er freundlich und küßte sie Da 
fiel sie ihm weinend um den Hals und hat: „Ach, laß heute
	        
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