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154. Das Pferd.
der Stadt zusammen und richteten. Zufällig tappte auch der Schimmel in dies
Glockenhaus hinein; und da or alles un seinen Lippen berührte und aus Hunger
mit den Zähnen alles benagte, so fand er auch den Strick, faßte ihn mit den
Zähnen und fing an zu laͤuten. Sogleich kamen die Richter und sahen den
Schimmel als Kläger. Da sie wohl wußten, wie große Dienste der Schimmel
seinem Herrn geleistet hatte, so ging ihnen die Sache zu Herzen. Sie ließen
den Kaufmann sogleich herbeirufen, der sich nicht wenig wunderte, als er an
der Klageglocke seinen Schimmel sah. Er wollte seine Hartherzigkeit rechtfertigen;
allein die Richter sprachen mit strengem Ernste: „Der Gerechte erbarmet sich
auch seines Viehes, aber der Gottlofen Herz ist unbarmherzig“ Und sie ver—
urteilten den Kaufmann, den Schimmel zu pflegen bis an sein Ende; es ward
auch ein Mann gesetzt, der bisweilen nachsah, ob der Schimmel keine Not litte.
An dem Glockenhause aber bildete man zum Andenken die ganze Geschichte in
Stein ab.
154. Das Pferd.
N schönste aller Säugetiere ist das Pferd. In Asien und Amerika kommt
es in zahllosen Scharen verwildert vor; doch hat es im Zustande dieser
Freiheit nicht die schöne Gestalt, wie unsre zahmen Arten, sondern es ist viel
plumper und grobknochiger. Erst unter der sorgfältigen Pflege des Menschen
wird es edel und schön. Zwar sehen wir viele Pferde, die mehr unser Mitleid
erregen, als uns durch ihre Schönheit erfreuen; allein es sind dies meistens
solche Tiere, die mit Arbeit überbürdet sind und dabei noch schlecht behandelt
werden. Tag für Tag muß mancher Gaul die schwersten Geschäfte vertichten,
und wenn er beinahe erliegt vor Anstrengung, gleichviel! die Peitsche eines
rohen Fuhrmanns gönnt ihm keine Ruhe. Und was bekommt er für all' diese
Mühe? vielleicht ein kleines Bündel Heu und eine Handvoll Hafer, und damit
muß er sich begnügen. Betrachte aber einmal ein Pferd, das in guter und
sorgsamer Pflege steht! Keinem andern Tiere hat der Schöpfer solchen Reichtum
von Gaben verliehen wie ihm. Wie aus Erz gegossen steht es da, und dennoch
schlank wie ein Reh. Sicher ist sein Tritt; stolz trägt es sein Haupt mit der
schön gewölbten Stirn und Nase. Das runde, lebhafte Auge mit dem schwarzen
Glanze erspähet den Feind und erleuchtet mit grünem Schein den dunkeln
Pfad. Es spielt mit den spitzen Ohren, erfaßt jeden Laut, stutzt und warnt
seinen Reiter. Zur Seite des schlanken, glatten Nackens fällt die seidenschim⸗
mernde Mähne. Seine Brust, voll und breit, stellt sich keck der Gefahr ent—
gegen, und der glatte Leib ruht sicher auf feften Lenden und nervigen Füßen.
Die eisenfesten Hufe stampfen ungeduldig den Boden. Auf den Wink des Reiters
springt es auf wie ein Luchs und stürmt dahin wie im Fluge. Mit dem Krieger
zieht es gegen den Feind, es beißt schäumend in die Zügel, schüttelt die
Mähne, scharrt den Boden und schnaubi und wiehert vor Kampfeslust. Da
schmettern die Trompeten, und entgegen springt es blitzenden Lanzenreihen. Es
ist eins mit seinem Reiter und steht unerschrocken und fest wie ein Fels mitten
im Rauch und im Donner der Geschütze. Nicht das Kriegsgetümmel, nicht das
Sausen der Kugeln, nicht das Klagen und Jammern der Verwundeten und
Sterbenden bringt es zum Wanken. Und ist sein Führer gefallen, so stellt es