Object: Lesebuch für gewerbliche Unterrichtsanstalten

172 
nahmen stattfinden; denn in besonderen Notfällen, in denen nicht 
selten zugleich ein öffentliches Interesse vorliegt, kann es unmöglich 
verboten sein, unverzüglich Arbeiten vorzunehmen. Sollte mau bei 
Glatteis den Hufbeschlag der Pferde nicht am Sonntag erneuern 
oder verbessern dürfen ? Beim Einstürzen von Häusern und Kanälen 
können doch unmöglich die Aufräumungs- und Absperrungsarbeiten 
untersagt sein!“ Es wurde mir die Antwort: „Der Gesetzgeber 
war weise genug, alle solche und ähnliche Fälle vorzusehen, auch 
die Bewachung der Betriebsanlagen und die Beaufsichtigung der 
erlaubten Betriebe zu gestatten.“ 
Längere Zeit wechselten Rede und Gegenrede; auch andere 
Fragen, die uns am Herzen lagen, kamen zur Besprechung. Wahre 
Freunde haben der übereinstimmenden Ansichten gar viele und 
auch oft das Bedürfnis, die widersprechenden Meinungen gründlich 
und rechtlich zu beleuchten und friedlich zu klären. Später ging 
ich mit Freuden auf des Freundes Vorschlag ein, in seiner Werk¬ 
statt ein seltenes Stück Arbeit mir anzusehen. Hier fand ich eine 
hervorragende Leistung, die der Meister mit viel Lust und Liebe, 
mit feinem Kunstverständnis und eingehender Sorgfalt hatte her¬ 
stellen lassen. Nachdem ich an dem Prachtstück Auge und Herz 
geweidet und dem Freunde meine Anerkennung ausgesprochen hatte, 
lenkte ich mein Augenmerk auf die Werkstatt selbst. Es war eine 
schöne, grosse Halle, die ausreichenden Luftraum bot, in der für 
den Eintritt genügenden Lichtes und den erforderlichen Luftwechsel 
ausreichende Einrichtungen getroffen waren, in der ferner für die 
Beseitigung des bei dem Betriebe entstehenden Staubes und der 
sich bildenden Abfälle genügend Sorge getragen war. An ge¬ 
eigneter Stelle erblickte ich den Gasmotor, der zum Schutze der 
Arbeiter gegen gefährliche Berührungen mit der Maschine oder 
Maschinenteilen mit passenden Vorrichtungen versehen war. Auch 
die bei einem etwa vorkommenden Brande erwachsenden Gefahren 
waren vollständig berücksichtigt, wie mir die Anzahl der Ausgänge 
und das Vorhandensein von Löschvorrichtungen zeigten. Auf 
der „Werkstattordnung“ sah ich auch die Vorschriften über die 
Ordnung des Betriebes und das Verhalten der Arbeiter, die zur 
Sicherung eines gefahrlosen Betriebes erforderlich sind. „Wie 
kommst du zu allen diesen Einrichtungen, sind sie aus Zwang oder 
freiem Antriebe entstanden?“ mit diesen Worten wandte ich mich 
an meinen Begleiter. Die Antwort, die mir wurde, lautete: „Das 
Pflichtgefühl und die Nächstenliebe liessen mich immer die Vor¬ 
richtungen treffen und unterhalten und den Betrieb so regeln, dass 
die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit ge¬ 
schützt sind, wie es die Natur meines Betriebes gestattet. Des¬ 
halb freute ich mich, als unsere Reichsgewerbeordnung und ihre 
Nachtragsbestimmungen alle nötigen Forderungen gesetzlich fest¬ 
legten und auf diese Weise der Gleichgültigkeit, dem Eigennutz 
und der Herzlosigkeit einen Riegel vorschoben.“ 
Wir kamen dann in die sauberen Umkleide- und Waschräume,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.