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nahmen stattfinden; denn in besonderen Notfällen, in denen nicht
selten zugleich ein öffentliches Interesse vorliegt, kann es unmöglich
verboten sein, unverzüglich Arbeiten vorzunehmen. Sollte mau bei
Glatteis den Hufbeschlag der Pferde nicht am Sonntag erneuern
oder verbessern dürfen ? Beim Einstürzen von Häusern und Kanälen
können doch unmöglich die Aufräumungs- und Absperrungsarbeiten
untersagt sein!“ Es wurde mir die Antwort: „Der Gesetzgeber
war weise genug, alle solche und ähnliche Fälle vorzusehen, auch
die Bewachung der Betriebsanlagen und die Beaufsichtigung der
erlaubten Betriebe zu gestatten.“
Längere Zeit wechselten Rede und Gegenrede; auch andere
Fragen, die uns am Herzen lagen, kamen zur Besprechung. Wahre
Freunde haben der übereinstimmenden Ansichten gar viele und
auch oft das Bedürfnis, die widersprechenden Meinungen gründlich
und rechtlich zu beleuchten und friedlich zu klären. Später ging
ich mit Freuden auf des Freundes Vorschlag ein, in seiner Werk¬
statt ein seltenes Stück Arbeit mir anzusehen. Hier fand ich eine
hervorragende Leistung, die der Meister mit viel Lust und Liebe,
mit feinem Kunstverständnis und eingehender Sorgfalt hatte her¬
stellen lassen. Nachdem ich an dem Prachtstück Auge und Herz
geweidet und dem Freunde meine Anerkennung ausgesprochen hatte,
lenkte ich mein Augenmerk auf die Werkstatt selbst. Es war eine
schöne, grosse Halle, die ausreichenden Luftraum bot, in der für
den Eintritt genügenden Lichtes und den erforderlichen Luftwechsel
ausreichende Einrichtungen getroffen waren, in der ferner für die
Beseitigung des bei dem Betriebe entstehenden Staubes und der
sich bildenden Abfälle genügend Sorge getragen war. An ge¬
eigneter Stelle erblickte ich den Gasmotor, der zum Schutze der
Arbeiter gegen gefährliche Berührungen mit der Maschine oder
Maschinenteilen mit passenden Vorrichtungen versehen war. Auch
die bei einem etwa vorkommenden Brande erwachsenden Gefahren
waren vollständig berücksichtigt, wie mir die Anzahl der Ausgänge
und das Vorhandensein von Löschvorrichtungen zeigten. Auf
der „Werkstattordnung“ sah ich auch die Vorschriften über die
Ordnung des Betriebes und das Verhalten der Arbeiter, die zur
Sicherung eines gefahrlosen Betriebes erforderlich sind. „Wie
kommst du zu allen diesen Einrichtungen, sind sie aus Zwang oder
freiem Antriebe entstanden?“ mit diesen Worten wandte ich mich
an meinen Begleiter. Die Antwort, die mir wurde, lautete: „Das
Pflichtgefühl und die Nächstenliebe liessen mich immer die Vor¬
richtungen treffen und unterhalten und den Betrieb so regeln, dass
die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit ge¬
schützt sind, wie es die Natur meines Betriebes gestattet. Des¬
halb freute ich mich, als unsere Reichsgewerbeordnung und ihre
Nachtragsbestimmungen alle nötigen Forderungen gesetzlich fest¬
legten und auf diese Weise der Gleichgültigkeit, dem Eigennutz
und der Herzlosigkeit einen Riegel vorschoben.“
Wir kamen dann in die sauberen Umkleide- und Waschräume,