Full text: [Schuljahr 4, [Schülerband]] (Schuljahr 4, [Schülerband])

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Also haben vor Jahren einmal die grünen Isarwellen einem flachs⸗ 
haarigen Büblein, dem Holzer-Lenz, in Fall erzählt. Und in den ersten 
Morgenstunden des nächsten Tages, da Tal und Höhen noch im Früh— 
nebel schliefen, stieß der Knabe vom Lande. Er durfte mit dem Vater 
auf dem Floß gen München reisen. Lustig trieb das Fahrzeug dahin, 
bis es in einer Flußenge, in der sich das Wasser mühsam über Fels 
und Klippen wälzte, wie ein Spielball hin- und hergeschleudert wurde. 
Da wollte es dem Lenz schier bange werden. Doch als er auf den 
Vater sah, der wie aus Erz gegossen am Steuer stand, bekam er Mut 
und Stolz. Und wie alsbald Floß und Wasser über eine Schnelle 
von 7 mn krachend und tosend hinabschossen, da jauchzte der Hochlands— 
knabe mitten im Schaum und in der stäubenden Wasserwolke. 
Nun strömte das holde Sonnenlicht über die Hänge und ergoß 
sich in goldenen Wellen ins weite Tal. Ein keckfrisches Alpenkind, 
rauschte jetzt die Isar, die „Schnellreißende“, in voller Wasserfülle mit 
silbern spritzenden Kämmen in kiesigem Bette dahin. Die Walchen 
und Jachen hatten die reichen Fluten des Achen- und Walchensees 
in ihren Schoß geschüttet. Wie im Traume zogen an dem Knaben, 
der noch nie aus seinem weltfernen Hochtale gekommen, die grün 
umhegten Weiler, Schloß Hohenburg, das liebliche Dorf Lenggries 
vorüber. An der Lände beim schönen Markte Tölz fand sich eine 
lange Reihe von Flößen zusammen, die gemeinsam die gefahrvolle 
Fahrt zwischen den Inseln und Auen, den Sandbänken und Untiefen, 
welche die vielfach gespaltene Isar bildet, bis Wolfratshausen fort— 
setzten. Hier in weiter Niederung vereinigte sich der Fluß mit seiner 
Zwillingsschwester, der hellen Loisach. Was wußten sich die grünen 
Wasser nicht alles zu erzählen von ihrem Laufe aus den Bergen, 
durch Täler, Moore und Seen! Plötzlich tat der Lenz einen Schrei. 
Oben am Berghange kroch ein schwarzes Ungetüm heran. Wie ein 
Drache wand es sich mit hundert gläsernen Augen um die Böschung 
und aus seinem Rachen spie es leibhaftig Rauch und Feuer. Siehst 
du dort die Eisenbahn? fragte der Vater. Auf die setz ich mich meiner 
Lebtag nicht, 'sell weiß ich! entgegnete der Lenz mit Grauen. 
Jäh traten nun die Flußufer zusammen. Eingeengt in ein tiefes, 
schmales Bett eilten die Wasser in einer Riesenschlucht dahin. Lieblich 
waren die Hänge mit Busch und Wald bestanden. Freundliche Dörfer, 
Schlösser, Kloster Schäftlarn, wie in einer Einsiedelei gelegen, grüßten 
in das Tal. Bei Pullach und Grünwald weitete sich die Flußrinne 
in ein herrliches Waldbecken. Von der linken Kuppe schaute, wie 
ein Bild aus alter Ritterzeit, Burg Schwaneck ins Land. Noch eine
	        
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