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2. Kaiser Friedrich und Kaiserin Viktoria.
Von M. Hanspeter.
Im Januar 1887 wurde der Kronprinz von einem Halsleiden be—
fallen, für das er vergeblich Heilung suchte. Die treue Gemahlin wich
nicht von seiner Seite und begleitete ihn auch nach San Remo in Italien.
Ani 9. März entschlief Kaiser Wilhelm der Große zur ewigen Ruhe.
Der Kronprinz hatte schon zwei Tage zuvor Nachricht von dem bedenk—
lichen Zustand seines Vaters erhalten. Am Morgen des Todestages ging
er im Garten spazieren, da überreichte ihm ein Diener eine Depesche mit
der Aufschrift: „An Seine Majestät den Deutschen Kaiser.“ Die Auf—
schrift sagte ihm alles. Er legte die Depesche uneröffnet weg und begann 10
heftig zu weinen. Erst später entschloß er sich, sie zu öffnen, um von
dem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Die Kaiserin umarmte weinend ihren
Gemahl. Beide Majestäten zogen sich dann auf ihre Zimmer zurück und
zeigten sich den ganzen Tag nicht mehr.
Kaiser Friedrich begab sich sogleich am folgenden Tage auf die 15
Heimreise. Nach einer Fahrt von sechsunddreißig Stunden langte er in
Charlottenburg an; aber ach, als ein todkranker Mann war er wieder—
gekommen! Tausende gingen täglich von Berlin hinaus nach Charlotten—
burg, um von dem Befinden des Kaisers zu hören oder dort zu warten,
bis er am Fenster erschien. An einem Nachmittag erfuhr man, daß es
dem Kaiser besser gehe Da kaufte eine Dame, die vor dem Schlosse
stand, alle Veilchensträußchen auf, die von Händlern feilgeboten wurden.
Aus diesen Sträußchen machte sie einen großen Strauß und ließ ihn
dem hohen Kranken bringen. Freudig richtete sich dieser in seinem Ruhe—
bett auf, breitete die Hände aus und flüsterte: „O, o!“ Erfreut roch er 2
an den Lieblingsblumen und schrieb dann auf einen Zettel: „Weiß die
Kaiserin davon? Wenn nicht, so möge sie kommen, der Dame einige
Worte zu sagen.“ Die Kaiserin beschied die Frau zu sich. Diese sagte
ihr, die vor dem Schlosse Stehenden hätten dem Kaiser eine Freude
machen wollen. Alle wären ja gern bereit, ihr Herzblut für den Kaiser 30
hinzugeben. Gerührt entgegnete die Kaiserin: „O, wie sehr danke ich
Ihnen! Glauben Sie, auch ich gäbe gern mein Herzblut für meinen kranken
Gemahl hin, wenn Gott es so wollte! Sagen Sie allen, daß der Kaiser
sich über dieses Zeichen treuer Liebe sehr gefreut hat! Er läßt allen
herzlich danken.“
Tag und Nacht pflegte die Kaiserin den Kaiser. Sie rückte ihm
die Kissen zurecht, reichte ihm den erquicklichen Trunk, das Buch, die
Zeitung, das Blatt Papier, das er wünschte. Sie schmückte die Tische
und sein Lager mit Blumen, die die Liebe des Volkes ihm spendete.
Sein inniger Blick, der Druck seiner Hand belohnte sie reichlich. Oft-
mals schrieb er auf einen Zettel: „Wie werde ich dir alles vergelten
können!“ vandschriftlich.
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