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3. Blast nur, ihr Stürme, blast
mit Macht,
mir soll darob nicht bangen;
auf leisen Sohlen über Nacht
kommt doch der Lenz gegangen.
4. Da wacht die Erde grünend auf,
weiß nicht, wie ihr geschehen,
und lacht in den sonnigen Himmel
hinauf
und möchte vor Lust vergehen.
5. Sie flicht sich blühende Kränze
ins Haar
und schmückt sich mit Rosen und Ahren
und läßt die Brünnlein rieseln klar,
als wären es Freudenzähren.
6. Drum still! Und wie es frieren
mag,
o Herz, gieb dich zufrieden; —
es ist ein großer Maientag
der ganzen Welt beschieden!
7. Und wenn dir oft auch bangt und graut,
als sei die Höll' auf Erden,
nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muß doch Frühling werden!
Emanuel Geibel.
252. Gedenket der Vögel im Winter!
1. Komm zum Fenster, liebe Kleine,
bringe Körnlein mit und Brot!
Schau! im Hof dort auf dem Steine
liegt ein Vöglein — es ist tot.
2. Eingefroren jedes Börnchen,
jeder Futterplatz verschneit!
„Nur ein Krümchen! nur ein
Körnchen!“
fleh'n die Sänger weit und breit.
3. Gieb ein Körnchen, gieb ein
Krümchen!
streu's vor unsres Hauses Thür!
Und der Frühling schenkt ein Blümchen
und ein Vogellied dafürr.
L Und das ruft: „Zum Lenzesfeste
komm ins frische Grün geschwind!
Doch das Schönste, Allerbeste
schenkl dir selbst dein Herz, mein Kind“
Emil Rittershaus.
2. Aus dem Tier- und Pflanzenleben.
253. Treue Freundschaft der Tiere.
Der Rabe, den die Vögel für einen Weisen halten, saß auf einem
Baume des Waldes. Da kam der Vogelsteller, stellte sein Netz, streute
Samenkörner darein und ging wieder fort. Aber der Rabe fürchtete sich
vor dem Netze und versteckte sich in das dichte Laub. Und ein Schwarm
wilder Tauben kam, der sah das schöne Gerstenfutter und setzte sich und
fraß davon. Aber das Netz fiel zu; da waren sie gefangen und flatterten
darin umher. Da sprach die Führerin des Schwarmes: „Uns hilft nicht,
also hin und her zu flattern; laßt uns aber versuchen, alle auf einmal in
die Höhe zu fliegen; vielleicht vermögen wir das Netz mitzunehmen.“
Und sie flogen alle zusammen in die Höhe und nahmen das Netz mit sich.