Full text: [Teil 3 = 4. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 3 = 4. Schuljahr, [Schülerband])

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brãchte. Als sie nun vor ihn kam, sprach er: „Läebe Frau, seid 
so gut, und sagt mir, wie es kommt, dals Euer Name immer 
an der Hochpforte des Münsters steht. Ieh dachte doch, ich 
hätte es allein erbauen lassen; indes scheint das nieht der Fall 
zu sein. Sagt mir also, habt Ihr je 2u dem Münster beigesteuert? 
Sagt es mir offen, es soll Luch darum nichts zuleide geschehen.“ 
Da sprach die alte Frau: „Nehmt's niebt ungnãdig, Herr RKaiser! 
leh bin eine arme, alte Frau und muls mein tägliches Brot durch 
Spinnen verdienen. Ich hätte aber doch gern zu dem Gotteshause 
gesteuert, wenn Ibr es nicht verboten bättet. Indes Lonnte ich 
es doch nieht über mein Herz bringen, gar nichts zu tun. Da 
kaufte ich ein paar Pfund Heu und streute es den Pferden, welche 
die Steine herbeizogen.“ 
Als das der Raiser hörte, sah er wohl, das Opfer der armen 
EFrau sei Gott wohlgefälliger gewesen, als all sein Aufwand, und 
er nahm sich vor, ibren Namen ruhig stehen zu lassen. Sobald 
er sieh so bedacht hatte, verschwand der Name der alten Frau, 
und dafür stand am folgenden Morgen mit grossen goldenen 
Buohbstaben sein Name wieder an der Hochpforte des Münstors. 
dimrock. 
125. Das blinde Roß. 
Vor langen, langen Jahren lebte in der alten Stadt Vineta ein 
reicher Kaufmann, der mehrere Schiffe zur See hatte und viele Waren 
kaufte und verkaufte. Alles in seinem Hause sah prächtig aus. Die 
Wände waren mit Tapeten beklebt, die Fußböden mit Teppichen be 
legt, und Herr und Frau gingen in lauter Sammet und Seide. Im 
Stalle standen vier Füchse für die Kutsche und ein Schimmel zum 
Reiten. Dieser Schimmel war das schnellste Pferd in ganz Vineta, 
und Usedom, so hieß der Kaufmann, nannte ihn nur seinen lieben 
Spring⸗ in⸗den⸗Wind. Eines Tages ritt Usedom in einen Wald, um 
zu sehen, ob seine Waren noch nicht ankämen, die er erwartete. 
Plötzlich sprangen sechs Räuber auf ihn zu, und hätte nicht der 
Schimmel durch seine Blitzesschnelle den Herrn gerettet, nimmer würde 
er Vineta wiedergesehen haben. Denn der eine Räuber hatte schon 
den Zaum des Pferdes ergriffen, und der andere hielt eine große 
Stange vor, über die aber der S chimmel wegsetzte. 
UÜber und über war derselbe mit Schaum bedeckt, als er seinen 
Herrn nach Vineta zuruckbrachte, und dieser nahm sich vor, ihn nie zu
	        
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