Full text: [Theil 2 = Mittelstufe, [Schülerband]] (Theil 2 = Mittelstufe, [Schülerband])

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reiche Gabe saß eben die arme Familie bei ihrem einfachen, heute besseren 
Miltagsbrote, als zu ihrem Erstaunen ein königlicher Adjutant in das kleine, 
aber reinlich gehaltene Zimmer trat, den Zusammenhang erzählte und sich 
erkundigte, ob der Knabe in allem auch dem Könige die Wahrheit gesagt 
habe; und da sich dies auch noch auf anderem Wege bestätigte, ließ der 
König die jüngsten Kinder in einem Waisenhause erziehen und bewilligte 
der Witwe eine jährliche Pension von hundert Thalern. 
b. Der Markaner. 
Ein ehemaliger Unterofficier, Sondermann, Inhaber der silbernen 
Medaille, brachte selbst aus der Grafschaft Mark seinen groß und schön 
gewachsenen Sohn nach Potsdam zur Garde und zwei Jahre nachher wieder 10 
zwei andere seiner wackeren Jungen. Der König, dem diese Anhänglichkeit 
gefiel, schenkte ihm diesmal vierzehn Friedrichsdor und freie Rückreise Im 
nächsten Jahre durch eine Stadt in Westfalen kommend, bemerkte der König 
in der drängenden Volksmenge einen Bauer, der sich durcharbeiten und Bahn 
machen wollte, aber von einem Gensdarmen abgehalten wurde. „Durch- 15 
passieren!“ sagte der König. „Kenne den Mann! Wie geht's, Sondermann?“ 
— „Mir geht's gut; ich wollte nur sie, Herr König, fragen, was meine 
Jungen in Potsdam machen.“ — „Wird ihnen wohl gut gehen; habe nichts 
Nachtheiliges von ihnen gehört.“ — „Nun,“ sagte der Bauer treuherzig, 
„wenn sie nach Potsdam kommen, grüßen sie sie schön von mir!“ — 20 
„Werd' es besorgen!“ Wirklich war der König kaum, wiewohl doch Wochen 
dazwischen lagen, in Potsdam angekommen, als er die Gebrüder Sonder— 
mann von der Leibcompagnie auf das Schloß rufen ließ. „Hab' euren 
Vater gesehen; ist recht munter. Läßt euch vielmal grüßen; was ich hiermit 
gethan haben will“ Darauf ließ er ihnen in der Küche ein Frühstück ver⸗ 2 
abreichen. Man konnte dem Könige Aufträge geben, und er bestellte sie von 
einem Bauer und gemeinen Manne ebenso gut wie von einem Fürsten. 
e. Der russische Schiffer. 
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Der Kaiser und der König gingen eines Tages im schlichten, einfachen 
Oberrocke ohne alle Auszeichnung und ohne alles Gefolge, in ernste Ge— 
spräche vertieft, am Hafen zu Memel auf und ab. Es landete in dieser s0 
Zeit gerade ein russisches Kauffahrtheischiff, und der Schiffskapitän, der auf 
seinen Seereisen mehrere Jahre in Indien abwesend gewesen, nie in Peters— 
burg sich aufgehalten, nie den Kaiser gesehen, von der Anwesenheit desselben 
in Memel und überhaupt von dem, was auf dem Continent sich eben zutrug, 
gar nichts wußte — trat ans Land. Er war ein stattlicher, ernster, mit 36 
einem russischen Orden geschmückter Mann und ging an den beiden hohen 
Herren, nicht ahnend, wer sie waren, ohne zu grüßen, vorüber. Als daher 
der Kaiser Alexander ihn anredete und fragte, bei welcher Gelegenheit er 
den Orden verdient und erhalten hätte, befremdete den barschen Seekapitän 
diese Frage der Neugierde, und da er sie, von einem fremden Unbekannten vor— 40 
gelegt, für unpassend hielt, entgegnete er mit der seinem Stande gewöhnlich 
eigenen Derbheit: „Herr, was haben Sie für ein Recht, mich darnach hier 
auf der Straße zu fragen? Von schwer errungenen Gnadenerweisungen Seiner 
Majestät des Kaisers Paul spricht man nicht auf der Gasse gegen Unbe—
	        
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