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263. Der Sperling, genannt Spatz.
Der Spatz gehört zu den Gassenbuben unter den Vögeln. Er sieht
auch gerade so aus. In seinem dicken Kopfe stecken ein Paar rote
freche Augen, denen man sogleich ansieht, daß er sich um keinen Men—
schen bekümmert, und daß es ihm einerlei ist, was man von ihm denkt.
Von Zucht und Ehrgefühl hat er gar keinen Begriff — Zu diesem
dicken Kopfe paßt ganz sein plumper Schnabel und fein freches Geschrei.
Er giebt sich nicht die geringste Mühe, anständig zu sprechen, sondern
schreit in den Tag hinein, wie es ihm in die Guͤrgel kommt. — Sein
Anzug paßt ganz zu seinem Wesen, und Eitelkeit kann man ihm nicht
vorwerfen. Er denkt nicht daran, was er anhat. Gewöhnlich trägt
er eine grobe graue Jacke, auf der man nicht leicht Schmutzflecken
sehen kann; daher schont er sie auch wenig, und er treibt sich damit im
Staube, im Kote, in Lachen und auf Feldern herum. Händel hat er
mit seinen Kameraden alle Augenblicke, und dabei giebt es ein Geschrei,
daß man es im ganzen Dorfe hört. — Vor den Menschen hat er nicht
die geringste Scheu und Achtung. Er drängt sich überall herbei,
baut sein Nest, ohne dich lange um Erlaubnis zu fragen, zwischen den
Laden und das Fenster deines Zimmers und blickt keck herein, um zu
sehen, womit du dich beschäftigest — Bei seiner Unverschämtheit treibt
er die Schwalbe aus ihrem Neste und pflanzt sich mit seiner Brut hin⸗
ein, die eben so unverschämt wird, wie die lieben Eltern sind. Jeder
Platz ist ihm zu seinem Neste recht. Ein Palast oder eine Strohhütte,
ein herrliches Denkmal von Marmor oder ein alter Topf — was fragt
der Spatz darnach! — das ist ihm einerleil — Und zum Baue des⸗
selben kann er alles brauchen: alte Lumpen und alte seidene Läpp⸗
chen, Papierstreifen, kurze und lange Hälmchen, Fäden und Federn, alles
weiß er zu benutzen.
Seine Gefräßigkeit ist ein Stück von der Ewigkeit. Wann siehst
du den Spatz nicht fressen? — Was würde ein reicher Müßiggänger
für einen solchen Magen geben! Schleckerhaft aber ist er nicht; er frißt
alles, was ihm vor den Schnabel kommt, und verdaut so herrlich und
leicht, daß er von Kopfschmerzen gar keinen Begriff hat. Von Magen—
drücken, Magensäuren, Leibschmerzen und ängstlichen Gemütsstimmungen
weiß er nicht das geringste. — Und sein Schlaf? — Von diesem will
ich nichts sagen; er möchte sonst von muen darum beneidet werden.
— Uberall hat er seine Augen, wo es etw zu fressen oder zu naschen
giebt. Hält ein Fuhrmanu mit seinen Pferden vor dem Wirtshause,
und der Hausknecht bringt den Futtertrog, so ist auch mein Spatz schon
da und holt sich seinen Teil Hafer oder Brot; mag auch der Fuhrmann
darüber schimpfen, wie er wil, das stört den Spatz in seinem Appetite
nicht. — Kommt die Köchin mit einem Teller voll Brot, das sie müh—
sam in zierliche viereckige Stücke geschnitten hat, oder mit anderen