Object: (Viertes und fünftes Schuljahr) (Teil 2 für Kl. 6 u. 5)

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sich mit seiner Brut hinein, die ebenso unverschämt wird, wie die lieben 
Eltern sind. Jeder Platz ist ihm zu seinem Neste recht. Ein Palast 
oder eine Strohhütte, ein herrliches Denkmal von Marmor oder ein 
alter Topf — was fragt der Spatz danach! — das ist ihm einerlei! — 
Und zu dem Baue desselben kann er alles brauchen- alte Lumpen und 
seidene alte Läppchen, Papierstreifen, kurze und lange Hälmchen, Fäden 
und Federn, alles weiß er zu benutzen. 
Seine Gefräßigkeit ist ein Stück von der Ewigkeit. Wann siehst 
du den Spatz nicht fressen? — Was würde ein reicher Müßiggänger 
für einen solchen Magen geben! Schleckerhaft aber ist er nicht; — er 
frißt alles, was ihm vor den Schnabel kommt, und verdaut so herrlich 
und leicht, daß er von der Migräne gar keinen Begriff hat. Von Magen¬ 
drücken, Magensäuren, Leibschmerzen und ängstlichen Gemütsstimmungen 
weiß er nicht das geringste. — Und sein Schlaf? — Von diesem will ich 
nichts sagen; er möchte sonst von manchem darum beneidet werden. — 
Überall hat er seine Augen, wo es etwas zu fressen oder zu naschen 
gibt. Hält ein Fuhrmann mit seinen Pferden vor dem Wirtshause 
und der Hausknecht bringt den Futtertrog, so ist auch mein Spatz schon 
da und holt sich seinen Teil Hafer oder Brot; mag auch der Fuhrmann 
darüber schimpfen, wie er will, das stört den Spatz in seinem Appetite 
nicht. 
Kommt die Köchin mit einem Teller voll Brot, das sie mühsam 
in zierliche, viereckige Stückchen geschnitten hat, oder mit andern Lecker¬ 
bissen, um damit ihre lieben Hühner zu füttern, so läßt der Spatz gewiß 
nicht aus sich warten; er kennt die Zeit genau, in welcher sie in das 
Hühnerhaus geht. Zagt sie ihn weg, so fliegt er kaum einen Schritt 
beiseite, und man merkt ihm nicht die geringste Verlegenheit an. Kaum 
hat sie den Rücken gewendet, so ist er wieder da, und indem er aus 
Leibeskräften hineinwürgt, sagt er zu den Hühnern: ,,Ihr dürft nicht 
glauben, daß dies Fressen für euch allein da ist! Ich will auch etwas 
haben! Versteht ihr mich?" 
Die guten Hühner lassen sich in keinen Streit ein, sondern eilen 
nur, damit der Spatz mit seinen Kameraden nicht alles erwische; aber 
die Köchin kehrt jammernd zu ihrer Frau zurück und klagt: ,,Ach! die 
unverschämten Spatzen fressen das meiste! Sie lassen sich nicht fort¬ 
jagen !" 
Kaum fangen die Kirschen an sich zu färben, so holt sich der Spatz 
eine Probe davon, und es füllt ihm nicht ein zu sagen: ,,Erlauben
	        
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