Full text: [Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband])

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„Lebt eure Mutter noch, und habt ihr auch Geschwister?“ Jetzt 
rieseln dem Sergeanten die Tränen über den strammen Schnurrbart 
herunter. Die Frage hat ihn plötzlich aus dem wüsten Kriegsgetümmel 
in die liebe Heimat, in die goldne Jugendzeit zurückgetragen. „Ja“, 
sagte er, „mein Mütterchen lebt noch, und so ein Jüngelchen ist auch 
noch zu Hause. Gebt ihn mal her, den Kleinen, ich tu ihm nichts 
zuleide.“ Nun nimmt er das Kind auf seinen Arm, streichelt es freund— 
lich übers Köpfchen und gibt ihm einen Kuß auf die Stirn. Dem alten 
Mütterlein wird's auch ganz wundersam zu Mute; sie sieht, daß diese 
Preußen, wie man dort kurzweg alle Deutschen nennt, auch Menschen 
sind. Sie steht auf, geht in die Küchenkammer und ruft: „Peter! 
Christinel Kommt heraus; sie tun euch nichts! Kommt nur geschwind!“ 
Dem Peter aber fährt's wie eine Engelsbotschaft durch alle Glieder; 
er stößt den Boden weg, hinter dem er sich ins Zwetschenfaß versteckt 
hat, und kriecht heraus. Die Christine hat ihre Lebensgeister auch 
wiedergefunden; sie drückt den Deckel von der Mehlkiste empor, in der 
sie sich verkrochen hat, und krabbelt ans Tageslicht. Wie aus der 
Hölle erlöst, treten beide unter fröhlichem Herzklopfen in die Stube. 
Der Sergeant hat das Büblein noch auf dem Arme. „Ha, Bauer, 
was bist du für ein Mordskerl und fürchtest dich vor deutschen Soldaten! 
Schau mich 'mal an und meine Soldaten da; sind wir denn Menschen— 
fresser?“ Der Peter sperrt Mund und Ohren auf. Die Christine lächelt 
ganz seelenvergnügt. Das wär ihnen im Traume nicht eingefallen. 
„Ha, Kamerad“, sagt der Sergeant, „hol uns ein Stück Brot und ein 
paar Kannen Wein — sonst wollen wir nichts!“ Und nun sehe einer 
den Peter, wie er ein übers andre Mal mit dem Melkkübel in den 
Keller hinabsteigt, und wie die Christine ihre vier Laib Brot bis auf 
den letzten freudestrahlend auf den Tisch legt, wie die alte Groß— 
mutter den schmucken, strammen Sergeanten immer wieder wohlgefällig 
anblickt, und wie der gute Elsässer Wein die durstigen, ausgebrannten 
Kehlen erquickt; — ein Bild, ich sage, wenn ich's malen könnte, ein 
schöneres dürfte es in der Welt nicht geben. Und was geschieht? 
Den andern Tag haben die Großmutter, der Peter und die Christine 
wie alle andern nichts zu essen. Da kommt am Nachmittag ein Soldat 
und bringt Speck und Brot und sagt: „Da, laßt's euch schmecken! Und 
der Sergeant hat mir aufgetragen, ich soll euch grüßen, und er wird 
sein Leben lang an gestern denken!“
	        
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