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den Stieftöchtern, was sie sich gewünscht hatten, und dem Aschen—
brödel gab er das Reis von dem Haselbusch. Aschenbrödel dankte
ihm, ging zu seiner Mutter Grab und pflanzte das Reis darauf
und weinte so sehr, daß die Tränen darauf niederfielen und es be—
gossen. Es wuchs aber und ward ein schöner Baum. Aschenbrödel
ging alle Tage dreimal darunter, weinte und betete; und allemal
kam ein weißes Vöglein auf den Baum, und wenn Aschenbrödel
einen Wunsch aussprach, so warf ihm das Vöglein herab, was es
sich gewünscht hatte.
Wie die Vöglein dem Aschenbrödel halfen.
Es begab sich aber, daß der König ein Fest anstellte, das drei
Tage dauern sollte, und wozu die schönen Jungfrauen im Lande
eingeladen wurden, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen
möchte. Die zwei Stiefschwestern, als sie hörten, daß sie auch da—
bei erscheinen sollten, waren guter Dinge, riefen Aschenbrödel und
sprachen: „Kämm uns die Haare, bürste uns die Schuhe und mach
uns die Schnallen fest; wir gehen zur Hochzeit auf des Königs
Schloß.“ Aschenbrödel gehorchte, weinte aber, weil es auch gecn
zum Tanz mitgegangen wäre, und bat die Stiefmutter, sie möchte
es ihm erlauben. „Du Aschenbrödel“, sprach sie, „bist voll Staub
und Schmutz und willst zur Hochzeit? Du hast keine Kleider und
Schuhe und willst tanzen?“ Als es aber mit Bitten anhielt, sprach
sie endlich: „Da habe ich dir eine Schüssel Linsen in die Asche ge—
schüttet; wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen
hast, so sollst du mitgehen.“ Das Mädchen ging durch die Hinter—
tür nach dem Garten und rief: „Ihr zahmen Täubchen, ihr Tur—
teltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft
mir lesen,
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen!“
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und da—
nach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten
alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die
Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit den Köpfchen und fin—
gen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick,
pick, pick, pick und lasen alle guten Körnlein in die Schüssel. Kaum
war eine Stunde herum, da waren sie schon fertig und flogen alle
wieder hinaus. Da brachte das Mädchen die Schüssel der Stief—
mutter, freute sich und glaubte, es dürfte nun mit auf die Hochzeit
gehen. Aber sie sprach: „Nein, Aschenbrödel, du hast keine Kleider
und kannst nicht tanzen; du wirst nur ausgelacht.“