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Söhne. Doch reicht die erste Gründung des Klosters noch etwas
weiter hinauf bis zu König Pipin, Karls des Großen Vater. Dieses
Kloster wurde bald so reich, daß man cs einem Fürstenthume ver¬
gleichen konnte; denn nicht nur der Kaiser hatte es mit großen Be¬
sitzungen begabt, sondern alle wohlhabenden Leute in der Umgegend
beeiferten sich, seinem Beispiele zu folgen. Denn das Kloster besaß
den Leichnam eines berühmten Heiligen als Reliquie, und Viele wall-
fahrteten dahin, um wunderbare Heilung oder Trost zu erlangen.
Auch bestanden die Mönche des Klosters anfänglich aus sehr frommen
und gelehrten Männern, welche eine Bibliothek von seltener Größe sam¬
melten, viele beschäftigten sich selbst mit Abschreiben der Bücher; denn
gedruckte gab es damals noch nicht. Einige Mönche haben selbst
Chroniken verfaßt, woraus wir die Geschichte jener alten Zeit kennen
lernen.
Allein nach einigen Jahrhunderten kamen die guten Sitten des
Klosters in Verfall, seine Macht und sein Reichthum nahmen ab.
Freilich kamen auch Unglücksfälle dazu, wozu die Mönche Nichts konn¬
ten. So brannte zur Zeit der Kreuzzüge die prachtvolle, mit den
reichsten Verzierungen angefüllte Kirche nieder, und zwar durch ein
unvorsichtiges Spiel. An dem Tage des heiligen Benedict, zu dessen
Anhängern die Mönche gehörten, wurde ein Fest begangen, wozu sich
außer den Dienern des Klosters auch das benachbarte Volk eingefun¬
den hatte. Da wurde neben Essen und Trinken auf dem Hose auch
allerlei Kurzweil getrieben. Unter Andern verfiel man auf ein Spiel,
welches auch jetzt noch in manchen Gegenden üblich ist, auf das
Scheiben-Werfen. Man nahm nämlich hölzerne Scheiben, welche in
der Mitte ein Loch hatten. Diese hielt man mit dem Rande so lange
an ein Feuer, bis derselbe zu brennen anfing. Nun steckte man einen
Stab in das Loch und schleuderte damit die Scheibe in die Luft. In¬
dem sie sich nun im Kreise drehte, beschrieb der brennende Rand feu¬
rige Kreise, Was sich um so schöner ausnahm, je höher der Wurf
und je dunkler der Abend war. Unglücklicher Weise für das Kloster-
Lorsch flog aber eine solche brennende Scheibe auf das Kirchendach,
welches aus Schindeln bestand und von dem Märzwinde ohnedies
ausgetrocknet war. In einem Nu schlug die Flamme empor, und ehe
die bestürzten Klosterleute Anstalten treffen konnten, waren die Glocken¬
seile schon verbrannt/so daß man nicht einmal Sturm läuten konnte.
Und weil nun auch das auf dem Dach befindliche Blei von der Gluth
schmolz und in die Kirche niederfloß, so vermochte man nicht einmal
die Kostbarkeiten von den Altären und Wänden zu retten. Alles
wurde unter einen Schutthaufen begraben. Da trat große Trauer
und Niedergeschlagenheit an die Stelle der vorherigen Freude. Am
meisten schmerzte jedoch den Abt, daß auch die heiligen Reliquien ver¬
loren schienen. Als man aber bei dem Wegräumen des Schuttes den
Leichnam des Heiligen unversehrt fand, faßte man wieder Muth.
Jedermann gab, Was er an Kostbarkeiten besaß, zum Wiederaufbau
der Kirche. Nach wenigen Jahren war sie hergestellt. Doch besaß sie
nicht mehr die frühere Pracht, und das ganze Kloster erhob sich nicht
mehr zu dem früheren Ansehen.