Full text: Für die mittleren Stufen mehrklassiger Schulen (Teil 1, [Schülerband])

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da wird alle Arbeit dreimal so leicht. Arm sind wir, sehr arm! das ist 
wahr; aber gottlob! auch gesund. Ich bin fleißig, mein Mann auch, und 
er rührt die Hände wacker, das fühle ich oft selbst.“ 
„Was ist dein Mann?“ fragte Rübezahl. 
„Im Winter,“ berichtete die Frau, „arbeitet er zu Hause; im Sommer 
aber betreibt er einen kleinen Glashandel und läuft deshalb nach Böhmen, 
herüber und hinüber. Glaubt mir's, Herr, er muß sich wacker plagen. 
Nun lebt wohl! es wird Mittag. Wollt Ihr meinem Kleinen eine Güte 
thun, so schenkt ihm einen Groschen zu Semmel.“ 
„Wird nichts geschenkt!“ brummte Rübezahl. — „Auch gut!“ lachte 
das Weib; „aber den Korb werdet ihr mir doch aufladen helfen?“ 
„O ja!“ rief Rübezahl und half ihr den Korb aufladen. Das Weib 
dankte freundlich, nahm den kleinen Schreier ebenfalls auf den Arm und 
wanderte, ein fröhliches Liedchen trällernd, den Berg hinab, während die 
beiden ältesten Knaben sie umsprangen. 
I. 
Die Frau wanderte munter, wenn auch langsam, ins Dorf hinab; 
aber je weiter sie wanderte, desto schwerer ward ihre Last. 
„Ich muß den Korb wohl zu fest gepackt haben,“ sprach sie, setzte ihn 
ab und warf fast die Hälfte Laub hinaus. Aber kaum war sie dreißig 
Schritte gegangen, so fühlte sie sich schon wieder fast zu Boden gezogen 
von der Last. 
„Eil!“ rief sie, „was ist denn das? Ist mir der Korb doch nie so 
schwer gewesen! Am Ende hat der Schelm Rübezahl sich einen Spaß mit 
mir gemacht und mir ein paar Steine in den Korb praktiziert.“ Damit 
setzte sie den Korb abermals ab und leerte ihn vollständig aus, die Steine 
zu suchen. Aber weder Steine noch sonst irgend etwas anderes als schönes, 
dürres Laub war zu finden. Kopfschüttelnd packte sie es wieder in den 
Korb, lud ihn von neuem auf und dankte Gott, als sie endlich mühsam 
ihr Häuschen erreichte. Sie legte den Säugling in die Wiege, schüttete 
ihrem Hausschatz, einer muntern Ziege und drei jungen Zicklein, das ge— 
sammelte Laub vor und bereitete dann sich und ihren Kleinen selber das 
Mittagbrot, das allen vortrefflich schmeckte. 
Als das Mittagsmahl vorbei war, ging sie wieder in den Stall, um 
die alte Ziege zu melken; aber, o Himmel! was mußten ihre Augen er— 
blicken? Die alte Ziege lag am Boden, streckte alle Viere von sich und 
war mausetot, ebenso zwei Zicklein, und das dritte wälzte sich ebenfalls, 
würgend und die Augen verdrehend, sterbend umher.
	        
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