— 432 —
Mehr noch als die Liebe und Verehrung ihrer Freunde ist die Bewunderung,
die auch Vertreter anderer Sinnesrichtungen der Fürstin zollten, ein Beweis für
die Macht ihrer Persönlichkeit und den eigenartigen Zauber, den ihre Klugheit
und Güte ausübten. Mußte doch selbst Goethe, dem die Ziele und Bestrebungen
der familia sacra fernlagen, anerkennen, die Fürstin sei eine „herrliche Seele",
die durch ihre Gegenwart zu mancherlei Gutem wecke und stärke, eine „kostbare
Seele", von der es ihn nicht wundernehme, daß sie die Menschen so anziehe.
Die Fürstin und Goethe hatten voneinander durch Briefe gemeinsamer
Freunde gehört, als sie sich im Sommer 1785 während einer Reise der Fürstin
und ihrer Kinder durch Thüringen und Sachsen persönlich kennen lernten. Die
kleine Reisegesellschaft, zu der auch Fürstenberg, Hemsterhuis und Sprickmaiin
gehörten, weilte mehr als eine Woche in Weimar und verkehrte dort freund¬
schaftlich mit Goethe und feinem ganzen Kreise, wenngleich Wieland und Herder
ihren Beifall nicht fanden. Gern gesehen war dagegen des letzteren kluge Frau,
die ihrerseits von der Fürstin und ihren Begleitern sehr eingenommen war. „Ein
Weib von dem festen Charakter (wie die Fürstin Gallitzin) habe ich noch nicht
gesehen," äußerte sie in einem Briefe aus jener Zeit, „und dann blickt in ihren
dunkelblauen Augen so viele Liebe wider, daß wir sie recht liebgewonnen haben.
Ihre Kinder haben eine zarte Geschwisterseele gegeneinander und ein so unschuldig
treuherziges Wesen gegen andere." Goethe selbst schrieb damals über die
Münsteraner an Frau von Stein: „Es sind interessante Menschen und wunder¬
bar, sie miteinander zu sehen," und: „Es sind wirklich vorzügliche Menschen."
Anfangs waren es zwar mehr die Begleiter der Fürstin, die ihn anzogen, als
diese selbst; er fand ihre Art, sich offen und ohne alles Zeremoniell zu geben,
nicht weiblich und benahm sich ihr gegenüber kalt und zurückhaltend, doch bei
öfterem Beisammensein verwandelte sich seine Voreingenommenheit in aufrichtige
Bewunderung. Bald nach der Heimkehr erhielt Fürstin Amalie einen Brief von
ihm, worin er sie bat, mit ihm in Korrespondenz zu treten; denn sie allein habe
den Schlüssel zu seinem lange verschlossenen Herzen gefunden, und ein vertrauens¬
voller Meinungsaustausch mit ihr würde ihm wohltun. Die Fürstin erzählt von
diesem Briefe in ihrem Tagebuch und fährt fort: „Einen ganzen Winter blieb
ich im Kampf, solle ich, solle ich nicht. Aber da ich keinen wahrscheinlichen
Nutzen, Zeitaufwand und vielleicht zuviel Beschäftigung für mein Herz darin
mutmaßte, konnte ich mich zu keiner Antwort entschließen." Kurz vorher hatte
Lavater die gleiche Bitte an sie gerichtet, und auch sein Brief blieb unbeant¬
wortet, ebenso ein späterer von Herder.
Die zweite Begegnung zwischen Goethe und der Fürstin Gallitzin, diesen
beiden Mittelpunkten zweier so ungleichartiger Kreise wie der Münsterer und
der Weimarer, fand mehrere Jahre später in Münster statt. Auf der Rückkehr
aus Frankreich kam der Dichter, nachdem er einige Zeit der Gast Jacobis in